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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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richtig arbeiten. In ihrem Zimmer spielt den ganzen Tag ihre kleine Schwester, ein verwöhntes Baby von fast zwei Jahren. Wenn Gabi ihren Willen nicht bekommt, schreit sie, und wenn Lies sich dann nicht mit ihr beschäftigt, schreit Frau Goslar. Auf so eine Art kann Lies unmöglich richtig arbeiten, da helfen auch die zahllosen Nachhilfestunden nicht, die sie immer wieder bekommt. Bei Goslars ist das aber auch ein Haushalt! Die Eltern von Frau Goslar wohnen nebenan, essen aber bei der Familie. Dann gibt es noch ein Dienstmädchen, das Baby, Herrn Goslar, der immer zerstreut und abwesend ist, und Frau Goslar, immer nervös und gereizt, die wieder guter Hoffnung ist. In dieser Lotterwirtschaft ist Lies mit ihren beiden linken Händen so gut wie verloren.
     

    Meine Schwester Margot hat auch ihr Zeugnis bekommen, ausgezeichnet, wie immer. Wenn es in der Schule cum laude gäbe, wäre sie sicher mit Auszeichnung versetzt worden. So ein kluges Köpfchen!
    Vater ist in der letzten Zeit viel zu Hause, im Geschäft hat er nichts mehr verloren. Ein unangenehmes Gefühl muss das sein, wenn man sich so überflüssig fühlt. Herr Kleiman hat Opekta übernommen und Herr Kugler »Gies und Co.«, die Firma für (Ersatz-)Kräuter, die erst 1941 gegründet worden ist. Als wir vor ein paar Tagen um unseren Platz spazierten, fing Vater an, über Untertauchen zu sprechen. Er meinte, dass es sehr schwer für uns sein wird, ganz und gar abgeschnitten von der Welt zu leben. Ich fragte, warum er jetzt schon darüber sprach.
    »Du weißt«, sagte er, »dass wir schon seit mehr als einem Jahr Kleider, Lebensmittel und Möbel zu anderen Leuten bringen. Wir wollen nicht, dass unser Besitz den Deutschen in die Hände fällt. Aber noch weniger wollen wir selbst geschnappt werden. Deshalb werden wir von uns aus weggehen und nicht warten, bis wir geholt werden.«
    »Wann denn, Vater?« Der Ernst, mit dem Vater sprach, machte mir Angst.
    »Mach dir keine Sorgen darüber, das regeln wir schon. Genieße dein unbeschwertes Leben, solange du es noch genießen kannst.«
    Das war alles. Oh, lass die Erfüllung dieser Worte noch in weiter Ferne bleiben!
    Gerade klingelt es, Hello kommt, ich höre auf!
    Deine Anne

Mittwoch, 8. Juli 1942
    Liebe Kitty!
    Zwischen Sonntagmorgen und jetzt scheinen Jahre zu liegen. Es ist so viel geschehen, als hätte sich plötzlich die Welt umgedreht. Aber, Kitty, du merkst, dass ich noch lebe, und das ist die Hauptsache, sagt Vater. Ja, in der Tat, ich lebe noch, aber frage nicht, wo und wie. Ich denke, dass du mich heute überhaupt nicht verstehst, deshalb werde ich einfach anfangen, dir zu erzählen, was am Sonntag geschehen ist.
    Um 3 Uhr (Hello war eben weggegangen und wollte später zurückkommen) klingelte jemand an der Tür. Ich hatte es nicht gehört, da ich faul in einem Liegestuhl auf der Veranda in der Sonne lag und las. Kurz darauf erschien Margot ganz aufgeregt an der Küchentür. »Für Vater ist ein Aufruf von der SS gekommen«, flüsterte sie. »Mutter ist schon zu Herrn van Daan gegangen.« (Van Daan ist ein guter Bekannter und Teilhaber in Vaters Firma.)
    Ich erschrak schrecklich. Ein Aufruf! Jeder weiß, was das bedeutet. Konzentrationslager und einsame Zellen sah ich vor mir auftauchen, und dahin sollten wir Vater ziehen lassen müssen? »Er geht natürlich nicht«, erklärte Margot, als wir im Zimmer saßen und auf Mutter warteten. »Mutter ist zu van Daan gegangen und fragt, ob wir schon morgen in unser Versteck umziehen können. Van Daans gehen mit. Wir sind dann zu siebt.«
    Stille. Wir konnten nicht mehr sprechen. Der Gedanke an Vater, der, nichts Böses ahnend, einen Besuch im jüdischen Altersheim machte, das Warten auf Mutter, die Hitze, die Anspannung … das alles ließ uns schweigen.
    Plötzlich klingelte es wieder. »Das ist Hello«, sagte ich. Margot hielt mich zurück. »Nicht aufmachen!«
    Aber das war überflüssig. Wir hörten Mutter und Herrn van Daan unten mit Hello reden. Dann kamen sie herein und schlossen die Tür hinter sich. Bei jedem Klingeln sollten Margot oder ich nun leise hinuntergehen, um zu sehen, ob es Vater war. Andere Leute ließen wir nicht rein. Margot und ich wurden aus dem Zimmer geschickt, van Daan wollte mit Mutter allein sprechen.
    Als Margot und ich in unserem Schlafzimmer saßen, erzählte sie, dass der Aufruf nicht Vater betraf, sondern sie. Ich erschrak erneut und begann zu weinen. Margot ist sechzehn. So junge Mädchen wollten sie wegschicken? Aber zum

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