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Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Titel: Tagebücher 01 - Literat und Europäer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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räuspern.
    Das Dampfbad an winterlichen Morgen. Ich bin der erste Gast. Das Wasser ist sauber, durchsichtig blassgrün. Der einäugige Apotheker entspannt sich am Fuß des Brunnens im Wasser wie ein einsamer Zyklop. Emsig kneift und knetet der Masseur deine Muskeln, als wollte er dich loben, dass du noch nicht im Schlamm und Spülicht des Lebens verrottet bist. Der Masseur benutzt ein Pseudonym. Man nennt ihn »Viktor«. In Wahrheit heißt er Károly. Warum? … »Das ist sein Künstlername«, erwidert der Bademeister ernst.
    Nach dem Dampfbad ein winterliches Frühstück im alten Café. Tee, kalter Braten, Zeitungen. Die milde Geborgenheit der Zivilisation. Und das Wissen, dass diese Freuden zerbrechlicher als das mit Tee gefüllte Glas sind, das du an deine Lippen führst.
    Der Moment, da ich mit meiner ersten Liebe über das Stoppelfeld laufe, zwischen den geernteten Roggengarben. Ich bin vierzehn Jahre alt, das Mädchen ist dreizehn. Es trägt Sandalen an seinen nackten Füßchen. Wir halten uns bei den Händen, wie Hänsel und Gretel im Märchen.
    Mehr geschieht auch nicht. Um uns die große Tiefebene , die Getreideschober. Der Himmel ist violett, die Landschaft steht in Erwartung des Regens. Die Spannung in der Luft und in unseren Herzen ist beinahe unerträglich. Lange gehen wir so, Schauder laufen mir den Rücken hinunter, die Augen des Mädchens füllen sich mit Tränen. Der Sommer geht zu Ende, herrlich ist die Landschaft und todtraurig. Am nächsten Tag reise ich ab, zurück in die Stadt.
    Das Mädchen sehe ich nie wieder.
    R .s junges, schönes, boshaftes Gesicht, wenn sie mich – in einem unbewachten Moment – ansieht, beobachtet und glaubt, ich bemerke ihren Blick nicht. Sie beobachtet mich wie die Giftmischerin, die ihrem Opfer das tödliche Gift verabreicht hat und nun unbefangen plaudernd auf die Wirkung wartet.
    Und nicht ahnt, dass ich ihre Machenschaften, mithilfe derer sie mir das böse, würzige Gift ihres Körpers und ihres Wesens eingeben will, um Macht über mich zu erlangen, schon lange beobachte; und wie Mithridates schon längst das Gegengift schlucke. Das einzig mögliche Gegengift: dass ich jedes ihrer Worte von allen Affekten befreie, auf die Waagschale der Vernunft lege und erkenne, wie leicht doch diese Worte sind. Und wie schmutzig! Ich beobachte ihren erwartungsvollen, bösen Blick und sage mir fast mitleidig: Über mich hast du keine Macht.
    Und dann wirft die Zeit in wenigen Sekunden alles in den Müll.
    Ein Sommernachmittag an der Felsenspitze von Cap d’Antibes . In schierer Lust bieten sich die Mimosen und Kakteen der Sonne dar. Tief unten am Fuße des Felsens das stille, gläserne, dunkelblaue Meer. Die geheimnisvolle dunkelblaue Stille des Mittelmeers: als hätten die Engel nach einem himmlischen Waschtag alles Waschblau in dieses Becken gegossen.
    Im Hintergrund das Hotel, ein gelber Empirepalast. Eine junge Frau liegt fast nackt auf einer Liege unter einer Mimose, gibt sich der Sonne, der Stille, der lauen Brise hin, wie die Bäume, wie der Felsen, wie das Meer. Vollkommene Einheit und Harmonie in allem, was lebt und atmet. Der jodhaltige Duft des Meeres, der raue, herbe Duft der Blumen.
    Ich beuge mich von der Felsenspitze über das Meer und erblicke mich in der Tiefe, im glänzenden dunkelblauen Kristallspiegel. Ich bin dreißig Jahre alt und bin glücklich.
    Ein Sommernachmittag in Bártfa . Das Zimmer in dem Gasthof, in dem auch schon Königin Elisabeth gewohnt hat. Im Wald, inmitten der Tannen, das winzige, künstlich angelegte Schwimmbad, dessen kaltes Wasser mit Dampf erwärmt wird. Den Kessel heizt man mit harzigem Tannenholz, der Dampf und der Rauch vermengen sich in der Umgebung des Bades mit dem kräftigen Duft des Harzes.
    Am Waldweg Reizker, herbe Heidelbeeren. Ich bin schon einmal hier gewesen, in meiner Kindheit, mit meiner Mutter. Vom Bergrücken sieht man nach Polen hinüber. Alles duftet, alles ist voller Thymian. In der Nähe Rákóczis Burg und ihre Linden.
    Ich schwimme auf dem Rücken im lauwarmen Wasser, über den Tannen und Berggipfeln schimmert hellblau, wolkenlos der sommerliche Himmel. Als sei ich körperlos: Das Wasser, die Erde, der Himmel, alles schwebt. In der Ferne, unten in der Siedlung, spielt ein Zigeuner nachmittags um fünf.
    Der Zug hält plötzlich vor einem normannischen Dorf. Ein Signal hat seine rasende Fahrt gestoppt. Ich erwache auf meiner Bank dritter Klasse, auf der ich erschöpft geschlafen habe, springe auf, trete ans

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