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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Bequemlichkeit und Unselbständigkeit auszuarten, denn als verheirateter Mann hätte ich das nicht zu fürchten. Als Junggeselle aber kann ich ein solches Leben nicht zu Ende führen.
    Du hättest aber doch heiraten können?
      Ich konnte damals nicht heiraten, alles in mir hat dagegen revoltiert, so sehr ich F. immer liebte. Es war hauptsächlich die Rücksicht auf meine schriftstellerische Arbeit, die mich abhielt, denn ich glaubte diese Arbeit durch die Ehe gefährdet. Ich mag Recht gehabt haben; durch das Junggesellentum aber innerhalb meines jetzigen Lebens ist sie vernichtet. Ich habe ein Jahr lang nichts geschrieben, ich kann auch weiterhin nichts schreiben, ich habe und behalte im Kopf nichts als den einen Gedanken und der zerfrißt mich. Das alles habe ich damals nicht berprüfen können. Übrigens gehe ich bei meiner durch diese Lebensweise zumindest genährten Unselbständigkeit an alles zögernd heran und bringe nichts mit dem ersten Schlag fertig. So war es auch hier.

    Warum gibst Du alle Hoffnung auf, F. doch zu bekommen?
    Ich habe jede Selbstdemütigung schon versucht. Im Tiergarten sagte ich einmal: “Sag “ja”, auch wenn Du Dein Gefühl für mich als nicht genügend für eine Ehe ansiehst, meine Liebe zu Dir ist groß genug, um auch das Fehlende zu ersetzen und überhaupt stark genug, um alles auf sich zu nehmen. ” F. schien durch meine Eigenheiten beunruhigt, vor denen ich ihr im Laufe eines großen Briefwechsels Angst eingejagt hatte. Ich sagte: “ich habe Dich lieb genug, um alles abzulegen, was Dich stören könnte. Ich werde ein anderer Mensch werden. ” Ich hatte, wie ich jetzt, da alles klar werden muß, eingestehen kann, selbst zur Zeit unseres herzlichsten Verhältnisses oft Ahnungen und durch Kleinigkeiten begründete Befürchtungen, daß F. mich nicht sehr lieb hat, nicht mit aller Liebeskraft deren sie fähig ist. Das ist nun, nicht ohne meine Mithilfe allerdings, auch F. zu Bewußtsein gekommen. Ich fürchte fast, F. hat sogar nach meinen letzten zwei Besuchen einen gewissen Ekel vor mir, trotzdem wir äußerlich freundlich zu einander sind, einander Du sagen, Arm in Arm gehn. Als letzte Erinnerung an sie habe ich die ganz feindselige Grimasse, die sie machte, als ich mich im Flur ihres Hauses nicht mit dem Kuß auf ihren Handschuh begnügte, sondern ihn aufriß und ihre Hand küßte. Nun hat sie im übrigen, trotzdem sie die pünktliche Einhaltung des fernern Briefwechsels versprochen hatte, auf zwei Briefe mir nicht geantwortet, nur durch Telegramme Briefe versprochen, aber das Versprechen nicht gehalten, ja sie hat sogar nicht einmal meiner Mutter geantwortet. Das Aussichtlose dessen ist also wohl unzweifelhaft.
      Das sollte man eigentlich niemals sagen dürfen. Schien von F. aus gesehn Dein früheres Verhalten nicht auch aussichtslos zu sein.

      Es war etwas anderes. Ich gestand immer, selbst beim scheinbar letzten Abschied im Sommer, meine Liebe zu ihr offen ein; ich schwieg niemals mit dieser Grausamkeit; ich hatte Gründe für mein Verhalten, die sich, wenn nicht billigen, so doch besprechen ließen. F. hat bloß den Grund der gänzlich unzureichenden Liebe. Trotzdem ist es richtig, daß ich warten könnte. Mit einer doppelten Hoffnungslosigkeit warten kann ich aber nicht: einmal F. mir immer weiter entschwinden sehn und außerdem selbst in immer größere Unfähigkeit geraten, mich irgendwie zu retten. Es wäre das größte Wagnis, das ich mit mir versuchen könnte, trotzdem oder weil es allen übermächtigen schlechten Kräften in mir am meisten entsprechen würde. “Man kann niemals wissen, was geschehn wird” ist kein Argument gegenüber der Unerträglichkeit eines gegenwärtigen Zustandes.
    Was willst Du also tun?

      Von Prag weggehn. Gegenüber diesem stärksten menschlichen Schaden, der mich je getroffen hat, mit dem stärksten Reaktionsmittel, über das ich verfüge, vorgehn.

    Den Posten verlassen?
    Der Posten ist ja nach dem Obigen ein Teil der Unerträglichkeit. Ich verliere nur eine Unerträglichkeit. Die Sicherheit, das auf Lebensdauer Berechnete, der reichliche Gehalt, die nicht vollständige Anspannung der Kräfte – das sind doch lauter Dinge, mit denen ich als Junggeselle nichts anfangen kann, die sich zu Qualen verwandeln.
    Was willst Du also tun?

      Ich könnte alle derartigen Fragen mit einemmal beantworten, indem ich sage: ich habe nichts zu riskieren, jeder Tag und jeder geringste Erfolg ist ein Geschenk, alles was ich tue wird gut

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