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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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aber er mußte so niedrig wohnen, da er wenigstens seit einem halben Jahr seitdem sein Fett stark zugenommen hatte, Treppen gar nicht mehr steigen konnte. Als er dieses Zimmer neben der Portierloge bekommen hatte, hatte er seinem Dienstgeber, dem Herrn von Griesenau, unter Tränen die Hände geküßt und gedrückt, jetzt aber kannte er die Nachteile dieses Zimmers – das ewige Beobachtetwerden, die Nachbarschaft des unangenehmen Portiers, die Unruhe der Einfahrt und des Platzes, die weite Entfernung von der übrigen Dienerschaft und die dadurch eintretende Entfremdung und Vernachlässigung – alle diese Nachteile kannte er jetzt von Grund aus und beabsichtigte auch tatsächlich beim Herrn wegen der Übersiedlung in sein früheres Zimmer bittstellig zu werden. Wozu standen denn insbesondere seitdem der Herr sich verlobt hatte, soviele neu aufgenommene Burschen nutzlos herum, mochten sie doch ihn, den verdienten und einzigartigen Mann, einfach die Treppen hinauf und hinuntertragen.

      Es wurde eine Verlobung gefeiert. Das Festessen war beendet, die Gesellschaft stand vom Tische auf, alle Fenster wurden geöffnet, es war ein schöner warmer Abend im Juni. Die Braut stand in einem Kreise von Freundinnen und guten Bekannten, die übrigen waren in kleinen Gruppen beisammen, hie und da wurde viel gelacht. Der Bräutigam lehnte allein am Eingang zum Balkon und sah hinaus.
    Nach einiger Zeit bemerkte ihn die Mutter der Braut, gieng zu ihm hin und sagte: “Du stehst hier so allein? Gehst nicht zu Olga? Habt Ihr Streit gehabt?” “Nein” antwortete der Bräutigam “wir haben keinen Streit gehabt. ” “Nun also” sagte die Frau “dann geh zu Deiner Braut! Dein Benehmen fällt ja schon auf”

    Das Grauenhafte des bloß Schematischen
      Die Zimmervermieterin eine schwache schwarz gekleidete Witwe in gerade abfallendem Rock stand im mittleren Zimmer ihrer leeren Wohnung. Noch war es ganz still, die Glocke rührte sich nicht. Auf der Gasse war es auch still, die Frau hatte mit Absicht eine so stille Gasse gewählt, denn sie wollte gute Zimmerherren und solche, die Ruhe verlangen sind die besten.

      27. V 14 Mutter und Schwester in Berlin. Ich werde mit dem Vater abend allein sein. Ich glaube er fürchtet sich heraufzukommen. Soll ich mit ihm Karten spielen? (Ich finde die K häßlich, sie widern mich fast an und ich schreibe sie doch, sie müssen für mich sehr charakteristisch sein) Wie sich der Vater verhielt, als ich F. berührte.
    Zum erstenmal erschien das weiße Pferd an einem Herbstnachmittag in einer großen aber nicht sehr belebten Straße der Stadt A. Es trat aus dem Flur eines Hauses, in dessen Hof ein Speditionsgeschäft ausgedehnte Lagerräume hatte, so daß öfters Gespanne, hie und da auch ein einzelnes Pferd aus dem Hausflur geführt werden mußten und infolgedessen das weiße Pferd nicht besonders auffiel. Es gehörte aber nicht zum Pferdestand des Speditionsgeschäftes. Ein Arbeiter, der vor dem Tor die Stricke an einem Warenballen fester zog, bemerkte das Pferd sah von seiner Arbeit auf und dann in den Hof, ob nicht der Kutscher bald nachkäme. Es kam niemand, wohl aber bäumte sich das Pferd, kaum hatte es das Trottoir betreten, kräftig auf, schlug paar Funken aus dem Pflaster, war einen Augenblick sehr nahe am Hinfallen, nahm sich aber gleich zusammen und trabte dann nicht schnell nicht langsam die um diese Dämmerstunde fast völlig leere Straße hinauf. Der Arbeiter verfluchte die seiner Meinung nach nachlässigen Kutscher, schrie einige Namen in den Hof, es kamen auch Leute heraus, blieben aber, da sie das Pferd gleich als ein fremdes erkannten, bloß ein wenig erstaunt neben einander im Tore stehn. Erst nach einem Weilchen besannen sich paar, liefen eine Strecke Wegs dem Pferde nach, da sie es aber nicht einmal mehr zu Gesicht bekamen, kehrten sie bald zurück.

      Das Pferd hatte inzwischen schon die äußersten Vorstadtstraßen erreicht, ohne aufgehalten worden zu sein. Es fügte sich dem Straßenleben besser ein, als sonst alleinlaufende Pferde. Sein langsamer Schritt konnte niemanden erschrecken, es verließ niemals die Fahrbahn niemals auch die vorgeschriebene Straßenseite, war es nötig wegen eines aus einer Querstraße kommenden Fuhrwerkes einzuhalten, so hielt es ein, hätte es der vorsichtigste Kutscher am Halfter geführt, es hätte sich nicht fehlerfreier verhalten können. Trotzdem war es natürlich ein auffallender Anblick, hie und da blieb jemand stehn und sah ihm

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