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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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habe ich nur äußerst selten überschritten, ich habe mich darin sogar mehr angesiedelt als in der Einsamkeit selbst. Was für ein lebendiges schönes Land war im Vergleich hiezu Robinsons Insel.

    30 (Oktober 1921) Nachmittag, Teater, Pallenberg
      Meine inneren Möglichkeiten für (ich will nicht sagen Darstellung oder Dichtung des Geizigen, sondern für) den Geizigen selbst. Nur ein schneller entschlossener Griff wäre nötig, das ganze Orchester schaut fasciniert dorthin, wo über dem Kapellmeisterpult der Taktstock sich erheben soll.
    Das Gefühl der vollständigen Hilflosigkeit.
      Was verbindet Dich mit diesen festabgegrenzten, sprechenden, augenblitzenden Körpern enger als mit irgendeiner Sache, etwa dem Federhalter in Deiner Hand? Etwa daß Du von ihrer Art bist? Aber Du bist nicht von ihrer Art, darum hast Du ja diese Frage aufgeworfen.
      Die feste Abgegrenztheit der menschlichen Körper ist schauerlich
      Die Merkwürdigkeit, die Unenträtselbarkeit des NichtUntergehns, der schweigenden Führung. Es drängt zu der Absurdität: “Ich für meinen Teil wäre längst schon verloren. ” Ich für meinen Teil.

    1.) Werfels “Bocksgesang”
    Die freie Verfügung über eine Welt unter Mißachtung ihrer Gesetze. Die Auferlegung des Gesetzes. Glück dieser Gesetzestreue.
      Es ist aber nicht möglich, der Welt nur das Gesetz aufzuerlegen, daß alles sonst beim Alten bleibt, der neue Gesetzgeber aber frei sein soll. Das wäre kein Gesetz, sondern Willkür, Auflehnung, Selbstverurteilung.
    2.) vage Hoffnung, vages Zutrauen

      Ein endloser trüber Sonntagnachmittag, ganze Jahre aufzehrend, ein aus Jahren bestehender Nachmittag. Abwechselnd verzweifelt in den leeren Gassen und beruhigt auf dem Kanapee. Manchmal Erstaunen über die fast unaufhörlich vorbeiziehenden farblosen, sinnlosen Wolken. “Du bist aufgehoben für einen großen Montag!” “Wohl gesprochen, aber der Sonntag endet nie”
    3.) Der Anruf

      7. (November 1921) Unentrinnbare Verpflichtung zur Selbstbeobachtung: Werde ich von jemandem andern beobachtet, muß ich mich natürlich auch beobachten, werde ich von niemandem sonst beobachtet, muß ich mich umso genauer beobachten.

      Jeder der sich mit mir verfeindet oder dem ich gleichgültig oder lästig werde, ist zu beneiden um die Leichtigkeit mit der er mich los werden kann (vorausgesetzt wahrscheinlich daß es nicht ums Leben geht; als es einmal bei F. ums Leben zu gehen schien, war es nicht leicht mich loszuwerden, allerdings war ich jung und bei Kräften, auch meine Wünsche waren bei Kräften)
      1 XII (1921) M. nach vier Besuchen weggefahren, fährt morgen weg. 4 ruhigere Tage innerhalb von gequälten. Ein langer Weg von da, daß ich über ihre Abreise nicht traurig bin, nicht eigentlich traurig bin bis dorthin, daß ich doch wegen ihrer Abreise unendlich traurig bin. Freilich: Traurigkeit ist nicht das Schlimmste

    2 (Dezember 1921) Briefeschreiben im Zimmer der Eltern. Die Formen des Niedergangs sind unausdenkbar. – Letzthin die Vorstellung, daß ich als kleines Kind vom V. besiegt worden bin und nun aus Ehrgeiz den Kampfplatz nicht verlassen kann alle die Jahre hindurch, trotzdem ich immer wieder besiegt werde. – Immer M., oder nicht M. aber ein Princip, ein Licht in der Finsternis.
      6 (Dezember 1921) Aus einem Brief: “Ich wärme mich daran in diesem traurigen Winter. ” Die Metaphern sind eines in dem Vielen, was mich am Schreiben verzweifeln läßt. Die Unselbständigkeit des Schreibens, die Abhängigkeit von dem Dienstmädchen das einheizt, von der Katze, die sich am Ofen wärmt, selbst vom armen alten Menschen, der sich wärmt. Alles dies sind selbstständige, eigengesetzliche Verrichtungen, nur das Schreiben ist hilflos, wohnt nicht in sich selbst, ist Spaß und Verzweiflung.

      Zwei Kinder, allein in der Wohnung, stiegen in einen großen Koffer, der Deckel fiel zu, sie konnten nicht öffnen und erstickten.
    20 XII (1921) Vieles durchgelitten in Gedanken
      Aus tiefem Schlaf wurde ich aufgeschreckt. In der Mitte des Zimmers saß an einem kleinen Tischchen bei Kerzenlicht ein fremder Mann. Er saß im Halbdunkel breit und schwer, der aufgeknöpfte Winterrock machte ihn noch breiter.
    Besser zu durchdenken:
      Raabe im Sterben, als ihm seine Frau über die Stirn strich: Das ist schön
      Der Großvater, der sein Enkelkind mit zahnlosem Mund anlacht.
      Es ist unleugbar ein gewisses Glück, ruhig hinschreiben zu dürfen: “Ersticken ist

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