Tagebücher 1909-1923
nicht zwingen will und daher das Buch nicht heraus geben werde.
8 (August 1912) "Bauernfänger" zur beiläufigen Zufriedenheit fertiggemacht. Mit der letzten Kraft eines normalen Geisteszustandes. 12 Uhr, wie werde ich schlafen können?
9 (August 1912) Die aufgeregte Nacht. – Gestern das Dienstmädchen, das zum kleinen Jungen auf der Treppe sagte:
"Halt dich an meine Röcke. " – Mein aus Eingebungen fließendes Vorlesen des "Armen Spielmann". – Die Erkenntnis des Männlichen an Grillparzer in dieser Geschichte. Wie er alles wagen kann und nichts wagt, weil schon nur Wahres in ihm ist, das sich selb st bei widersprechendem Augenblickseindruck zur entscheidenden Zeit als Wahres rechtfertigen wird. Das ruhige Verfügen über sich selbst. Der langsame Schritt, der nichts versäumt. Das sofortige Bereitsein, wenn es notwendig ist, nicht früher, denn er sieht alles längst kommen.
10 (August 1912) Nichts geschrieben. In der Fabrik gewesen und im Motorraum 2 Stunden lang Gas eingeatmet. Die Energie des Werkmeisters und des Heizers vor dem Motor, der aus einem unauffindbaren Grunde nicht zünden will. Jammervolle Fabrik.
11 (August 1912) Nichts, nichts. Um wieviel Zeit mich die Herausgabe des kleinen Buches bringt und wieviel schädliches lächerliches Selbstbewußtsein beim Lesen alter Dinge im Hinblick auf das Veröffentlichen entsteht. Nur das hält mich vom Schreiben ab. Und doch habe ich in Wirklichkeit nichts erreicht, die Störung ist der beste Beweis dafür. Jedenfalls werde ich mich jetzt nach Herausgabe des Buches noch viel mehr von Zeitschriften und Kritiken zurückhalten müssen, wenn ich mich
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nicht damit zufrieden geben will, nur mit den Fingerspitzen im Wahren zu stecken. Wie schwer beweglich ich auch geworden bin! Früher, wenn ich nur ein der augenblicklichen Richtung entgegengesetztes Wort sagte, flog ich auch schon nach der andern Seite, jetzt schaue ich mich bloß an und bleibe wie ich bin.
14 (August 1912)
Brief an Rohwolt
Sehr geehrter Herr Rohwolt!
Hier lege ich die kleine Prosa vor, die Sie zu sehen wünschten; sie ergibt wohl schon ein kleines Buch. Während ich sie für diesen Zweck zusammenstellte, hatte ich manchmal die Wahl zwischen der Beruhigung meines Verantwortungsgefühls und der Gier, unter Ihren schönen Büchern auch ein Buch zu haben. Gewiß habe ich mich nicht immer ganz rein entschieden.
Jetzt aber wäre ich natürlich glücklich wenn Ihnen die Sachen auch nur soweit gefielen, daß Sie sie druckten. Schließlich ist auch bei größter Übung und größtem Verständnis das Schlechte in den Sachen nicht auf den ersten Blick zu sehn. Die verbreitetste Individualität der Schriftsteller besteht ja darin, daß jeder auf ganz besondere Weise sein Schlechtes verdeckt.
Ihr ergebener
15 (August 1912) Nutzloser Tag. Verschlafen, verlegen.
Marienfeier auf dem Altstädter Ring. Der Mann mit einer Stimme wie aus einem Erdloch. Viel an – was für eine Verlegenheit vor dem Aufschreiben von Namen – Felice Bauer gedacht. Gestern "Polnische Wirtschaft" – Jetzt hat mir Ottla Gedichte von Goethe aufgesagt. Sie wählt mit einem wahren Gefühle aus. Trost in Tränen. An Lotte. An Werther. An den Mond – Alte Tagebücher wieder gelesen, statt diese Dinge von mir abzuhalten. Ich lebe so unvernünftig wie nur möglich. An allem aber ist die Herausgabe der 31 Seiten schuld. Noch mehr schuld allerdings meine Schwäche, die es erlaubt, daß derartiges
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auf mich Einfluß hat. Statt mich zu schütteln, sitze ich da und denke nach, wie ich das alles möglichst beleidigend ausdrücken könnte. Aber meine schreckliche Ruhe stört mir die Erfindungskraft. Ich bin neugierig darauf, wie ich mich aus diesem Zustand herausfinden werde. Stoßen lasse ich mich nicht, des rechten Weges bin ich mir auch nicht bewußt, wie wird es also werden? Bin ich als große Masse in meinen schmalen Wegen endgiltig festgerannt? – Dann könnte ich doch wenigstens den Kopf drehn. – Das tue ich doch.
16. (August 1912) Nichts weder im Bureau, noch zuhause.
Paar Seiten im Weimarer Tagebuch geschrieben.
Abend das Wimmern meiner armen Mutter wegen meines Nichtessens.
20. August (1912).
Die kleinen Jungen, beide in blauen Blusen, einer in heller, der andere kleinere
in dunklerer, tragen über den
Universitätsbauplatz vor meinem Fenster, der zum Teil wild mit Gras bewachsen ist, mit vollen Armen jeder ein Bündel trockenen Heus. Sie schleppen sich damit einen Abhang hinauf.
Annehmlichkeit des
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