Tagebücher 1909-1923
bloßem Kopf, losen weißpunktierten rotem Kleidchen, bloßen Beinen und Füßen, das mit einem Körbchen in der einen, mit einem Kistchen in der andern Hand zögernd den Fahrdamm beim Landesteater berschritt.
Das anfängliche Rückenspiel in Madame la mort nach dem Grundsatz: Der Rücken eines Dilettanten ist unter gleichen Verhältnissen so schön wie der Rücken eines guten Schauspielers. Die Gewissenhaftigkeit der Leute!
In den letzten Tagen ausgezeichneter Vortrag von Davis Trietsch über Kolonisation in Palästina.
25 (Mai 1912) Schwaches Tempo, wenig Blut.
27 (Mai 1912) Gestern Pfingstsonntag, kaltes Wetter, nicht schöner Ausflug mit Max und Weltsch.
Abend Kaffeehaus, Werfel gibt mir "Besuch aus dem Elysium"
-266-
Ein Teil der Niklasstraße und die ganze Brücke dreht sich gerührt nach einem Hund um, der laut bellend ein Automobil der Rettungsgesellschaft begleitet. Bis der Hund plötzlich abläßt, umkehrt und sich als ein gewöhnlicher fremder Hund zeigt, der mit der Verfolgung des Wagens nichts besonderes meinte.
1 Juni 1912 Nichts geschrieben.
2 Juni (1912) Fast nichts geschrieben.
Gestern Vortrag Dr. Soukup im Repräsentationshaus über Amerika [Die Tschechen in Nebraska, alle Beamten in Amerika werden gewählt, jeder muß einer der drei Parteien (republikanisch, demokratisch, socialistisch) angehören, Wahlversammlung Roosevelts, der einen Farmer, welcher einen Einwand macht, mit seinem Glas bedroht, Straßenredner die als Podium eine kleine Kiste mit sich tragen] dann Frühlingsfest, Paul Kisch getroffen der von seiner Dissertation "Hebbel u. die Tschechen" erzählt. Sein fürchterliches Aussehn. Auswüchse hinten auf dem Hals. Der Eindruck, wenn er von seinen Liebchen spricht.
6 Juni (1912). Donnerstag Frohnleichnam
wie von zwei Pferden im Lauf das eine den Kopf für sich und aus dem Lauf heraus senkt und gegen sich mit der ganzen Mähne schüttelt, dann ihn aufrichtet und jetzt erst scheinbar gesünder den Lauf wieder aufnimmt, den es eigentlich nicht unterbrochen hat.
Jetzt lese ich in Flauberts Briefen:
Mein Roman ist der Felsen, an dem ich hänge und ich weiß nichts von dem was in der Welt vorgeht. – Ähnlich wie ich es für mich am 9 V einge tragen habe
Gewichtlos, knochenlos, körperlos zwei Stundenlang durch die Gassen gegangen und überlegt, was ich nachmittag beim Schreiben überstanden habe.
-267-
7 Juni (1912). Arg. Heute nichts geschrieben. Morgen keine Zeit.
Montag 6 (8. ) Juli 1912 Ein wenig angefangen. Bin ein wenig verschlafen. Auch verlassen unter diesen ganz fremden Menschen.
9 August (Juli 1912) Solange nichts geschrieben. Morgen anfangen. Ich komme sonst wieder in eine sich ausdehnende unaufhaltsame Unzufriedenheit; ich bin schon eigentlich drin.
Die Nervositäten fangen an. Aber wenn ich etwas kann, dann kann ich es ohne abergläubische Vorsichtsmaßregeln.
Die Erfindung des Teufels. Wenn wir vom Teufel besessen sind, dann kann es nicht einer sein, denn sonst lebten wir, wenigstens auf der Erde, ruhig, wie mit Gott, einheitlich, ohne Widerspruch, ohne Überlegung, unseres Hintermannes immer gewiß. Sein Gesicht würde uns nicht erschrecken, denn als Teuflische wären wir bei einiger Empfindlichkeit für diesen Anblick klug genug lieber eine Hand zu opfern, mit der wir sein Gesicht bedeckt hielten. Wenn uns nur ein einziger Teufel hätte mit ruhigem ungestörtem Überblick über unser ganzes Wesen und mit augenblicklicher Verfügungsfreiheit, dann hätte er auch genügende Kraft uns ein menschliches Leben lang so hoch über dem Geist Gottes in uns zu halten und noch zu schwingen, daß wir auch keinen Schimmer von ihm zu sehen bekämen also auch von dort nicht beunruhigt würden. Nur die Menge der Teufel kann unser irdisches Unglück ausmachen. Warum rotten sie einander nicht aus bis auf einen oder warum unterordnen sie sich nicht einem großen Teufel; beides wäre im Sinne des teuflischen Princips, uns möglichst vollkommen zu betrügen.
Was nützt denn, solange die Einheitlichkeit fehlt, die peinliche Sorgfalt die sämtliche Teufel für uns haben? Es ist selbstverständlich, daß den Teufeln an dem Ausfallen eines Menschenhaares mehr gelegen sein muß als Gott, denn dem Teufel geht das Haar wirklich verloren, Gott nicht. Nur kommen
-268-
wir dadurch, solange die vielen Teufel in uns sind noch immer zu keinem Wohlbefinden.
7. (August 1912) Lange Plage. Max endlich geschrieben, daß ich die noch übrigen Stückchen nicht ins Reine bringen kann, mich
Weitere Kostenlose Bücher