Tagebücher 1909-1923
bekam das Wort einen toternsten Klang.
"Seit Jahren passe ich schon auf, daß Du mit dieser Frage kämest. Glaubst Du mich kümmert etwas anderes, glaubst Du ich lese Zeitungen. Da! " Und er warf ihm ein Zeitungsblatt, das irgendwie mit ihm ins Bett getragen worden war, zu. Eine alte Zeitung mit einem Georg schon ganz unbekannten Namen.
Wie lange hast Du gezögert, ehe Du reif geworden bist. Die Mutter mußte sterben, sie konnte den Freudentag nicht erleben, der Freund geht zu Grunde in seinem Rußland, schon vor 3
Jahren war er gelb zum Wegwerfen, und ich, Du siehst ja wie es mit mir steht. Dafür hast Du doch Augen.
Du hast mir also aufgelauert! rief Georg.
Mitleidig sagte der Vater nebenbei: Das wolltest Du wahrscheinlich früher sagen. Das paßt ja gar nicht mehr Und lauter: Jetzt weißt Du also was es noch außer Dir gab, bisher wußtest Du nur von Dir! Ein unschuldiges Kind warst Du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst Du ein teuflischer Mensch!
"Und darum wisse, ich verurteile Dich jetzt zum Tode des Ertrinkens! "
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Georg fühlte sich aus dem Zimmer gejagt, den Schlag, mit dem der Vater hinter ihm aufs Bett stürzte, trug er noch in den Ohren davon. Auf der Treppe, über deren Stufen er wie über eine schiefe Fläche eilte, überrumpelte er seine Bedienerin, die im Begriffe war heraufzugehn, um die Wohnung nach der Nacht aufzuräumen. "Jesus! " rief sie und verdeckte mit der Schürze das Gesicht, aber er war schon davon. Aus dem Tor sprang er, über die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn. Schon hielt er das Geländer fest, wie ein Hungriger die Nahrung. Er schwang sich über, wie der ausgezeichnete Turner, der er in seinen Jugendjahren zum Stolz seiner Eltern gewesen war. Noch hielt er sich mit schwächer werdenden Händen fest, erspähte zwischen den Geländerstangen ein Autoomnibus, das mit Leichtigkeit seinen Fall übertönen würde, rief leise, "liebe Eltern ich habe Euch doch immer geliebt" und ließ sich herabfallen.
In diesem Augenblick gieng über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr.
23 (September 1912) Diese Geschichte "das Urteil" habe ich in der Nacht vom 22 zum 23 von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh in einem Zug geschrieben. Die vom Sitzen steif gewordenen Beine konnte ich kaum unter dem Schreibtisch hervorziehn. Die fürchterliche Anstrengung und Freude, wie sich die Geschichte vor mir entwickelte wie ich in einem Gewässer vorwärtskam.
Mehrmals in dieser Nacht trug ich mein Gewicht auf dem Rücken. Wie alles gewagt werden kann, wie für alle, für die fremdesten Einfälle ein großes Feuer bereitet ist, in dem sie vergehn und auferstehn. Wie es vor dem Fenster blau wurde.
Ein Wagen fuhr. Zwei Männer über die Brücke giengen. Um 2
Uhr schaute ich zum letztenmal auf die Uhr. Wie das Dienstmädchen zum ersten Mal durchs Vorzimmer gieng, schrieb ich den letzten Satz nieder. Auslöschen der Lampe und Tageshelle. Die leichten Herzschmerzen. Die in der Mitte der Nacht vergehende Müdigkeit. Das zitternde Eintreten ins Zimmer der Schwestern. Vorlesung. Vorher das Sichstrecken
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vor dem Dienstmädchen und Sagen: "Ich habe bis jetzt geschrieben". Das Aussehn des unberührten Bettes, als sei es jetzt hereingetragen worden. Die bestätigte Überzeugung, daß ich mich mit meinem Romanschreiben in schändlichen Niederungen des Schreibens befinde. Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele. Vormittag im Bett. Die immer klaren Augen. Viele während des Schreibens mitgeführte Gefühle: z. B. die Freude daß ich etwas Schönes für Maxens Arcadia haben werde, Gedanken an Freud natürlich, an einer Stelle an Arnold Beer, an einer andern an Wassermann, an einer (zerschmettern) an Werfels Riesin, natürlich auch an meine "Die städtische Welt"
Ich, nur ich bin der Beobachter des Parterres.
Gustav Blenkelt war ein einfacher Mann mit regelmäßigen Gewohnheiten. Er liebte keinen unnötigen Aufwand und hatte ein sicheres Urteil gegenüber Leuten die solchen Aufwand trieben. Trotzdem er Junggeselle war, fühlte er sich durchaus berechtigt in Eheangelegenheiten seiner Bekannten ein entscheidendes Wörtchen mitzusprechen, und derjenige der eine solche Berechtigung nur in Frage gestellt hätte, wäre schlecht bei ihm angekommen. Er pflegte seine Meinung rund heraus zu sagen und hielt die Zuhörer, denen seine Meinung gerade nicht paßte durchaus nicht zurück. Es gab wie überall Leute die ihn
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