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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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ersehnte Ehefrau öffnet die Tür. In einem Monat hätte ich heiraten sollen. Ein furchtbares Wort: Wie Du es wolltest, so hast Du es. Man steht an der Wand schmerzhaft festgedrückt, senkt furchtsam den Blick, um die Hand zu sehn, die drückt und erkennt mit einem neuen Schmerz der den alten vergessen macht, die eigene verkrümmte Hand, die mit einer Kraft, die sie für gute Arbeit niemals hatte, dich hält.
    Man hebt den Kopf, fühlt wieder den ersten Schmerz, senkt wieder den Blick und hört mit diesem Auf und Ab nicht auf.
    4 VIII 14 Ich habe dem Hausherrn, als ich die Wohnung für mich mietete, wahrscheinlich ein Schriftstück unterschrieben, in dem ich mich zu einer zweijährigen oder gar sechsjähr igen Miete verpflichtet habe. Jetzt stellt er die Forderung aus diesem Vertrag. Die Dummheit oder besser allgemeine und endgültige Wehrlosigkeit, die mein Verhalten zeigt. In den Fluß gleiten.
    Dieses Gleiten kommt mir wahrscheinlich deshalb so wünschenswert vor, weil es mich an "geschoben werden"
    erinnert.
    5 VIII (1914) fast geordnet unter letztem Kraftverbrauch. Mit Malek als Zeugen zweimal dort gewesen, bei Felix wegen der Fassung eines Vertrages, beim Advokaten zweimal (6 K) und alles unnötig, alles hätte ich selbst tun können und sollen.
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    6 VIII (1914) Die Artillerie, die über den Graben zog.
    Blumen, Heil und Nazdarrufe. Das krampfhaft stille, erstaunte aufmerksame schwarze und schwarzäugige Gesicht. – Ich bin zerrüttet statt erholt. Ein leeres Gefäß, noch ganz und schon unter Scherben oder schon Scherbe und noch unter den Ganzen.
    Voll Lüge, Haß und Neid. Voll Unfähigkeit, Dummheit, Begriffstützigkeit. Voll Faulheit, Schwäche und Wehrlosigkeit.
    31 Jahre alt. Ich sah die 2 Ökonomen M. auf Ottlas Bild. Junge frische Leute, die etwas wissen und kräftig genug sind, es mitten unter den notwendigerweise ein wenig Widerstand leistenden Menschen anzuwenden. – Einer führt die schönen Pferde, der andere liegt im Gras und läßt die Zungenspitze in dem sonst unbeweglichen und unbedingt vertrauenswürdigen Gesicht zwischen den Lippen spielen.
    5. (August 1914) Ich entdecke in mir nichts als Kleinlichkeit, Entschlußunfähigkeit, Neid und Haß gegen die Kämpfenden, denen ich mit Leidenschaft alles Böse wünsche.
    6. (August 1914) Von der Litteratur aus gesehen ist mein Schicksal sehr einfach. Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt und es ist in einer schrecklichen Weise verkümmert und hört nicht auf zu verkümmern. Nichts anderes kann mich jemals zufrieden stellen. Nun ist aber meine Kraft für jene Darstellung ganz unberechenbar, vielleicht ist sie schon für immer verschwunden, vielleicht kommt sie doch noch einmal über mich, meine Lebensumstände sind ihr allerdings nicht günstig.
    So schwanke ich also, fliege unaufhörlich zur Spitze des Berges, kann mich aber kaum einen Augenblick oben erhalten. Andere schwanken auch, aber in untern Gegenden, mit stärkeren Kräften; drohen sie zu fallen, so fängt sie der Verwandte auf, der zu diesem Zweck neben ihnen geht. Ich aber schwanke dort oben, es ist leider kein Tod, aber die ewigen Qualen des Sterbens.
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    Patriotischer Umzug. Rede des Bürgermeisters. Dann Verschwinden, dann Hervorkommen und der deutsche Ausruf:
    "Es lebe unser geliebter Monarch, hoch. " Ich stehe dabei mit meinem bösen Blick. Diese Umzüge sind eine der widerlichsten Begleiterscheinungen des Krieges. Ausgehend von jüdischen Handelsleuten, die einmal deutsch, einmal tschechisch sind, es sich zwar eingestehen, niemals aber es so laut herausschreien dürfen wie jetzt. Natürlich reißen sie manchen mit. Organisiert war es gut. Es soll sich jeden Abend wiederholen, morgen Sonntag zweimal.
    7. (August 1914) Man behandelt, selbst wenn man nicht die geringste sichtbare Fähigkeit zu individualisieren hat, doch jeden nach seiner Art. "L. aus Binz" streckt mir, um auf sich aufmerksam zu machen, den Stock entgegen und erschreckt mich.
    Die festen Schritte auf der Schwimmschule.
    Gestern und heute 4 Seiten geschrieben, schwer zu
    überbietende Geringfügigkeiten.
    Der ungeheuere Strindberg. Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten.
    Chorgesang aus dem gegenüberliegenden Wirtshaus. –
    Gerade bin ich zum Fenster gegangen. Schlaf scheint unmöglich. Durch die offene Gasthaustüre kommt der volle Gesang. Eine Mädchenstimme intoniert. Es sind unschuldige Liebeslieder. Ich ersehne einen

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