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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Schutzmann. Gerade kommt er.
    Er bleibt ein Weilchen vor der Tür stehn und hört zu. Dann ruft er: "Der Wirt! " Die Mädchenstimme: "Vojtíšku. " Aus einer Ecke springt ein Mann in Hose und Hemd. "Macht die Tür zu!
    Wer soll den Lärm anhören?" "Oh bitte, oh bitte" sagt der Wirt und mit zarten entgegenkommenden Bewegungen, als
    verhandele er mit einer Dame schließt er zuerst die Tür hinter sich, öffnet sie dann um hineinzuschlüpfen und schließt sie wieder. Der Schutzmann (dessen Verhalten insbesondere dessen
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    Wut unbegreiflich ist, denn ihn kann der Gesang nicht stören, sondern nur seinen langweiligen Dienst versüßen) marschiert ab, die Sänger haben die Lust am Singen verloren.
    11. (August 1914) Vorstellung daß ich in Paris geblieben bin, Arm in Arm mit dem Onkel eng an ihn gedrückt durch Paris gehe 12. (August 1914) Gar nicht geschlafen. Nachmittag 3
    Stunden schlaflos und dumpf auf dem Kanapee gelegen, in der Nacht ähnlich. Es darf mich aber nicht hindern.
    15. (August 1914) Ich schreibe seit paar Tagen, möchte es sich halten. So ganz geschützt und in die Arbeit eingekrochen, wie ich es vor 2 Jahren war, bin ich heute nicht, immerhin habe ich doch einen Sinn bekommen, mein regelmäßiges, leeres, irrsinniges junggesellenmäßiges Leben hat eine Rechtfertigung.
    Ich kann wieder ein Zwiegespräch mit mir führen und starre nicht so in vollständige Leere. Nur auf diesem Wege gibt es für mich eine Besserung.
    Eine Zeit meines Lebens – es ist nun schon viele Jahre her –
    hat ich eine Anstellung bei einer kleinen Bahn im Innern Rußlands. So verlassen wie dort bin ich niemals gewesen. Aus verschiedenen Gründen, die nicht hierhergehören, suchte ich damals einen solchen Ort, jemehr Einsamkeit mir um die Ohren schlug, desto lieber war ich und ich will also auch jetzt nicht darüber klagen. Nur Beschäftigung fehlte mir in der ersten Zeit.
    Die kleine Bahn war ursprünglich vielleicht aus irgendwelchen wirtschaftlichen Absichten angelegt worden, das Kapital hatte aber nicht ausgereicht, der Bau kam ins Stocken und statt nach Kalda dem nächsten von uns 5 Tagereisen mit dem Wagen entfernten größern Ort zu führen machte die Bahn bei einer kleinen Ansiedlung geradezu in einer Einöde halt, von wo noch eine ganze Tagereise nach Kalda nötig war. Nun hätte die Bahn selbst wenn sie bis Kalda ausgedehnt worden wäre noch für unabsehbare Zeiten unrentabel bleiben, denn ihr ganzer Plan war verfehlt, das Land brauchte Straßen aber keine Eisenbahnen, in dem Zustand jedoch in dem sich die Bahn jetzt befand, konnte
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    sie überhaupt nicht bestehn, die zwei Züge die täglich verkehrten, führten Lasten mit sich, die ein leichter Wagen hätte transportieren können, und Passagiere waren nur ein paar Feldarbeiter im Sommer. Aber man wollte die Bahn doch nicht gänzlich eingehn lassen, denn man hoffte immer noch, dadurch daß man sie im Betrieb erhielt, für den weitern Ausbau Kapital anzulocken. Auch diese Hoffnung war meiner Meinung nach nicht sosehr Hoffnung, als vielmehr Verzweiflung und Faulheit.
    Man ließ die Bahn laufen, solange noch Material und Kohle vorhanden waren, man zahlte den paar Arbeitern die Löhne unregelmäßig und verkürzt, als wären es Gnadengeschenke und wartete im übrigen auf den Zusammenbruch des Ganzen.
    Bei dieser Bahn also war ich angestellt und bewohnte einen Holzverschlag, der noch seit dem Bau der Bahn dort zurückgeblieben war und gleichzeitig als Stationsgebäude diente. Es hatte nur einen Raum, in dem eine Pritsche für mich aufgestellt war und ein Pult für mögliche Schreibarbeiten, über ihm war der telegraphische Apparat angebracht. Als ich im Frühjahr hinkam, passierte der eine Zug die Station sehr früh –
    später wurde das geändert – und es geschah manchmal, daß irgendein Passagier zur Station kam während ich noch schlief.
    Er blieb dann natürlich – die Nächte waren dort bis in die Mitte des Sommers hinein sehr kühl – nicht im Freien, sondern klopfte an, ich riegelte auf und wir verbrachten dann oft ganze Stunden mit Plaudern. Ich lag auf meiner Pritsche, mein Gast hockte auf dem Boden oder kochte nach meiner Anweisung Tee, den wir dann beide in gutem Einverständnis tranken. Alle diese Dorfleute zeichnet große Verträglichkeit aus. Ich merkte übrigens daß ich nicht sehr dazu angetan war, vollständige Einsamkeit zu ertragen, wenn ich mir auch sagen mußte, daß diese Einsamkeit die ich mir auferlegt hatte, schon nach kurzer Zeit

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