Tagebücher 1909-1923
Körper ist schauerlich
Die Merkwürdigkeit, die Unenträtselbarkeit des Nicht-Untergehns, der schweigenden Führung. Es drängt zu der Absurdität: "Ich für meinen Teil wäre längst schon verloren. "
Ich für meinen Teil.
1.) Werfels "Bocksgesang"
Die freie Verfügung über eine Welt unter Mißachtung ihrer Gesetze. Die Auferlegung des Gesetzes. Glück dieser Gesetzestreue.
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Es ist aber nicht möglich, der Welt nur das Gesetz aufzuerlegen, daß alles sonst beim Alten bleibt, der neue Gesetzgeber aber frei sein soll. Das wäre kein Gesetz, sondern Willkür, Auflehnung, Selbstverurteilung.
2.) vage Hoffnung, vages Zutrauen
Ein endloser trüber Sonntagnachmittag, ganze Jahre aufzehrend, ein aus Jahren
bestehender Nachmittag.
Abwechselnd verzweifelt in den leeren Gassen und beruhigt auf dem Kanapee. Manchmal Erstaunen über die fast unaufhörlich vorbeiziehenden farblosen, sinnlosen Wolken. "Du bist aufgehoben für einen großen Montag!" "Wohl gesprochen, aber der Sonntag endet nie"
3.) Der Anruf
7. (November 1921) Unentrinnbare Verpflichtung zur Selbstbeobachtung: Werde ich
von jemandem andern
beobachtet, muß ich mich natürlich auch beobachten, werde ich von niemandem sonst beobachtet, muß ich mich umso genauer beobachten.
Jeder der sich mit mir verfeindet oder dem ich gleichgültig oder lästig werde, ist zu beneiden um die Leichtigkeit mit der er mich los werden kann (vorausgesetzt wahrscheinlich daß es nicht ums Leben geht; als es einmal bei F. ums Leben zu gehen schien, war es nicht leicht mich loszuwerden, allerdings war ich jung und bei Kräften, auch meine Wünsche waren bei Kräften) 1 XII (1921) M. nach vier Besuchen weggefahren, fährt morgen weg. 4 ruhigere Tage innerhalb von gequälten. Ein langer Weg von da, daß ich über ihre Abreise nicht traurig bin, nicht eigentlich traurig bin bis dorthin, daß ich doch wegen ihrer Abreise unendlich traurig bin. Freilich: Traurigkeit ist nicht das Schlimmste
2 (Dezember 1921) Briefeschreiben im Zimmer der Eltern.
Die Formen des Niedergangs sind unausdenkbar. – Letzthin die Vorstellung, daß ich als kleines Kind vom V. besiegt worden bin
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und nun aus Ehrgeiz den Kampfplatz nicht verlassen kann alle die Jahre hindurch, trotzdem ich immer wieder besiegt werde. –
Immer M., oder nicht M. aber ein Princip, ein Licht in der Finsternis.
6 (Dezember 1921) Aus einem Brief: "Ich wärme mich daran in diesem traurigen Winter. " Die Metaphern sind eines in dem Vielen, was mich am Schreiben verzweifeln läßt. Die Unselbständigkeit des Schreibens, die Abhängigkeit von dem Dienstmädchen das einheizt, von der Katze, die sich am Ofen wärmt, selbst vom armen alten Menschen, der sich wärmt. Alles dies sind selbstständige, eigengesetzliche Verrichtungen, nur das Schreiben ist hilflos, wohnt nicht in sich selbst, ist Spaß und Verzweiflung.
Zwei Kinder, allein in der Wohnung, stiegen in einen großen Koffer, der Deckel fiel zu, sie konnten nicht öffnen und erstickten.
20 XII (1921) Vieles durchgelitten in Gedanken
Aus tiefem Schlaf wurde ich aufgeschreckt. In der Mitte des Zimmers saß an einem kleinen Tischchen bei Kerzenlicht ein fremder Mann. Er saß im Halbdunkel breit und schwer, der aufgeknöpfte Winterrock machte ihn noch breiter.
Besser zu durchdenken:
Raabe im Sterben, als ihm seine Frau über die Stirn strich: Das ist schön
Der Großvater, der sein Enkelkind mit zahnlosem Mund anlacht.
Es ist unleugbar ein gewisses Glück, ruhig hinschreiben zu dürfen: "Ersticken ist unausdenkbar fürchterlich. " Freilich unausdenkbar, so wäre also doch wieder nichts hingeschrieben.
23 XII (1921) Wieder über "Nas Skautik" gesessen Iwan Iljitsch
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16 I (1922) Es war in der letzten Woche wie ein
Zusammenbruch, so vollständig wie nur etwa in der einen Nacht vor 2 Jahren, ein anderes Beispiel habe ich nicht erlebt. Alles schien zuende und scheint auch heute durchaus noch nic ht ganz anders zu sein. Man kann es auf zweierlei Art auffassen und es ist auch
wohl gleichzeitig so aufzufassen. Erstens:
Zusammenbruch, Unmöglichkeit zu schlafen, Unmöglichkeit zu wachen, Unmöglichkeit das Leben, genauer die
Aufeinanderfolge des Lebens zu ertragen. Die Uhren stimmen nicht überein, die innere jagt in einer teuflischen oder dämonischen oder jedenfalls unmenschlichen Art, die äußere geht stockend ihren gewöhnlichen Gang. Was kann anderes geschehn, als daß sich die zwei verschiedenen Welten trennen und sie trennen sich oder reißen
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