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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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und nur reden, um die Luft in Bewegung zu setzen, die
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    beim Reden das Gesicht heben und den Worten, die sie aussprechen, nachsehn.
    So vergeht mir der regnerische, stille Sonntag, ich sitze im Schlafzimmer und habe Ruhe aber statt mich zum Schreiben zu entschließen, in das ich z. B. vorgestern mich hätte ergießen wollen mit allem was ich bin, habe ich jetzt eine ganze Weile lang meine Finger angestarrt. Ich glaube diese Woche ganz und gar von Goethe beeinflußt gewesen zu sein, die Kraft dieses Einflusses eben erschöpft zu haben und daher nutzlos geworden zu sein.
    Aus einem Gedicht von Rosenfeld, das einen Meersturm darstellt: "Es flattern die Seelen, es zittern die Leiber". Löwy verkrampft beim Recitieren die Haut der Stirn und der Nasenwurzel, wie man nur Hände verkrampfen zu können glaubt. Bei den ergreifendsten Stellen, die er einem nahebringen will, nähert er sich uns selbst oder besser er vergrößert sich, indem er seinen Anblick klarer macht. Nur ein wenig tritt er vor, hält die Augen aufgerissen, zupft mit der abwesenden linken Hand am Schlußrock und hält die rechte offen und groß uns hin.
    Auch sollen wir, wenn wir schon nicht ergriffen sind, seine Ergriffenheit anerkennen und ihm die Möglichkeit des beschriebenen Unglücks erklären.
    Ich soll dem Maler Ascher nackt zu einem heiligen Sebastian Modell stehn.
    Wenn ich jetzt am Abend zu meinen Verwandten
    zurückkehren werde, werde ich, da ich nichts geschrieben habe, was mich freuen würde, ihnen nicht fremder verächtlicher, nutzloser vorkommen als mir. Dies alles natürlich nur meinem Gefühl nach (das durch keine noch so genaue Beobachtung zu betrügen ist) denn tatsächlich haben sie alle Achtung vor mir und lieben mich auch.
    24 I 12 Mittw. Aus folgenden Gründen solange nicht geschrieben: Ich war mit meinem Chef bös und brachte das erst
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    durch einen guten Brief ins Reine; war mehrere Male in der Fabrik; las Pinez "L’histoire de la litterature judeo- allemande"
    500 S. undzwar gierig, wie ich es mit solcher Gründlichkeit, Eile und Freude bei ähnlichen Büchern noch niemals getan habe; jetzt lese ich Fromer "Organismus des Judentums"; endlich hatte ich mit den jüdischen Schauspielern viel zu tun, schrieb für sie Briefe, habe beim zionistischen Verein durchgesetzt, daß die z.
    Vereine Böhmens befragt werden, ab sie Gastspiele der Truppe haben wollen, das nötige Rundschreiben habe ich geschrieben und vervielfältigen lassen; habe noch einmal Sulamit gesehn und einmal Herzele Meliches von Richter, war beim Volksliederabend des Vereins Bar Kochba und vorgestern beim
    "Graf von Gleichen" von Schmidtbonn.
    Volksliederabend: Dr. Nathan Birnbaum hält den Vortrag.
    Ostjüdische Gewohnheit, wo die Rede stockt, "meine verehrten Damen und Herren" oder nur "meine Verehrten" einzufügen.
    Wiederholt sich am Anfang der Rede Birnbaums zum
    Lächerlichwerden. Soweit ich aber Löwy kenne glaube ich daß solche ständigen Wendungen, die auch im gewöhnlichen ostjüdischen Gespräch oft vorkommen wie "Weh ist mir!" oder
    "S’ist nischt" oder "S’ist viel zu reden" nicht Verlegenheit verdecken sollen, sondern als immer neue Quellen den für das ostjüdische Temperament immer noch zu schwer daliegenden Strom der Rede umquirlen sollen. Bei Birnbaum aber nicht.
    26. I 12
    – Der Rücken des Herrn Weltsch und die Stille des ganzen Saales beim Anhören der schlechten Gedichte. – Birnbaum: Die Frisur mit den länglichen Haaren setzt scharf am Hals ab, der durch diese plötzliche Entblößung oder durch sich selbst sehr aufrecht ist. Große gekrümmte, nicht zu schmale und doch an den Seiten breitflächige Nase, die vor allem infolge der guten Proportionalität zum großen Bart schön aussieht. – Sänger Gollanin. Friedliches, süßliches, himmlisches, herablassendes, mit zur Seite und in die Tiefe geneigtem Gesicht lang
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    ausgehaltenes, mit gerümpfter Nase etwas zugespitztes Lächeln, das aber auch bloß zur Mundtechnik gehören kann. –
    Pines: Histoire de la Litterature Judeo-Allemande. Paris 1911
    sie durch den Jargon in Verbindung mit den Brüdern in Holland.
    Erstes Buch 1507 Venedig, Bovomaisse, Übersetzung eines engl. Romans.
    Tsena-Urena de Jakob ben Isack de Janow (gest. Prag 1628) Legenden, Frauenbuch, sehr schön
    Volkslieder: (Evreiskia narodnia piesni w Rassia Ginsbourg u.
    Marek 1901)
    treten die Mutter des Gerechten
    Soldatenlied:
    Man schneidet uns Bart und Schläfenlocken
    Und man verbietet uns den Samstag

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