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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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nach Gewinn verzehrt sie. Ehen werden nur mit Rücksicht auf die Versorgung der Braut geschlossen. 2 Kindersystem
    2. Mischehen 3.) Taufen
    Komische Szenen, als Prof. Ehrenfels, der immer schöner wird und dem sich im Licht der kahle Kopf in einer gehauchten Kontur nach oben abgrenzt, die Hände an einander gelegt und
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    gegenseitig drückend, mit seiner vollen wie bei einem Musikinstrument modulierten Stimme, vor Vertrauen zur Versammlung lächelnd für Mischrassen sich einsetzt 5. II 12 Mo. Müde auch das Lesen von "Dichtung und Wahrheit" aufgegeben. Ich bin hart nach Außen, kalt im Innern.
    Als ich heute zu Dr. Fleischmann kam war es, trotzdem wir langsam und überlegt zusammenkamen, als wären wir wie Bälle zusammengestoßen, die einer den andern zurückwerfen und selbst ohne Beherrschung sich verlieren. Ich fragte ihn ob er müde wäre. Er war nicht müde. Warum ich fragte? Ich bin müde antwortete ich und setzte mich.
    Aus einem solchen Zustand sich zu erheben, sollte eigentlich selbst mit gewollter Energie leicht sein. Ich reiße mich vom Sessel los, umlaufe den Tisch mit großen Schritten, mache Kopf und Hals beweglich, bringe Feuer in die Augen, spanne die Muskeln um sie herum. Arbeite jedem Gefühl entgegen, begrüße Löwy stürmisch, wenn er jetzt kommen wird, dulde freundlich meine Schwester im Zimmer, während ich schreibe, ziehe bei Max alles, was gesagt wird, trotz Schmerz und Mühe in langen Zügen in mich hinein. Nun ist es zwar möglich, daß mir einzelnes davon ziemlich vollständig gelingen würde, aber mit jedem deutlichen Fehler – und die können nicht ausbleiben –
    wird das Ganze, das Leichte und das Schwere, stocken und ich werde mich im Kreise zurückdrehn müssen. Der beste Rat bleibt deshalb, möglichst ruhig alles hinzunehmen, als schwere Masse sich verhalten und fühle man sich selbst fortgeblasen, keinen unnötigen Schritt sich ablocken lassen, den andern mit Tierblick anschauen, keine Reue fühlen, sich dem Bewußtlosen hingeben, das man ferne glaubt, trotzdem man sich daran gerade verbrennt, seine eckigen unveränderlichen Gliedmaßen sich nach Belieben legen lassen, kurz das was vom Leben als Gespenst noch übrig ist mit eigener Hand niederdrücken d. h. die letzte grabmäßige Ruhe noch vermehren und nichts außer ihr mehr bestehen lassen. Eine charakteristische Bewegung eines solchen
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    Zustandes ist das Hinfahren des kleinen Fingers über die Augenbrauen.
    Kleiner Ohnmachtsanfall gestern im Kafe City mit Löwy. Das Herabbeugen über ein Zeitungsblatt um ihn zu verbergen Goethes schöne Silhoue tte in ganzer Gestalt. Nebeneindruck des Widerlichen beim
    Anblick dieses vollkommenen
    menschlichen Körpers, da ein Übersteigen dieser Stufe außerhalb der Vorstellbarkeit ist und diese Stufe doch nur zusammengesetzt und zufällig aussieht. Die aufrechte Haltung, die hängenden Arme, der schmale Hals, die Kniebeugung.
    Die Ungeduld und Trauer wegen meiner Mattigkeit nährt sich besonders durch die niemals aus den Augen gelassene Aussicht in die Zukunft, die mir dadurch vorbereitet wird. Was für Abende, Spaziergänge, Verzweiflung im Bett und auf dem Kanapee,
    7 II 12 stehn mir noch bevor, ärger als die schon
    überstandenen!
    Gestern in der Fabrik. Die Mädchen in ihren an und für sich unerträglich schmutzigen und gelösten Kleidern, mit den wie beim Erwachen zerworfenen Frisuren, mit dem vom
    unaufhörlichen Lärm der Transmissionen und von der einzelnen zwar automatischen aber unberechenbar stockenden Maschine festgehaltenen Gesichtsausdruck sind nicht Menschen, man grüßt sie nicht, man entschuldigt sich nicht, wenn man sie stößt, ruft man sie zu einer kleinen Arbeit, so führen sie sie aus, kehren aber gleich zur Maschine zurück, mit einer
    Kopfbewegung zeigt man ihnen wo sie eingreifen sollen, sie stehn in Unterröcken da, der kleinsten Macht sind sie überliefert und haben nicht einmal genug ruhigen Verstand, um diese Macht mit Blicken und Verbeugungen anzuerkennen und sich geneigt zu machen. Ist es aber sechs Uhr und rufen sie das einander zu, binden sie die Tücher vom Hals und von den Haaren los, stauben sie sich ab mit einer Bürste, die den Saal
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    umwandert und von Ungeduldigen herangerufen wird, ziehn sie die Röcke über die Köpfe und bekommen sie die Hände rein so gut es geht, so sind sie schließlich doch Frauen, können trotz Blässe und schlechten Zähnen lächeln, schütteln den erstarrten Körper, man kann sie nicht mehr stoßen,

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