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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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ihrem wilden Ausdruck betroffen.
    Wenn auch das Gesicht des Fremden ruhig war, so funkelten seine Augen doch unter den dicken, ergrauten Brauen und schleuderten Blitze, wie die einer Degenklinge, die in der Luft umherzischt, ehe sie sich niedersenkt, und wie das Eisen hatten sie etwas Spitziges an sich, das durch das Fleisch bis zum Herzen drang.
    Ohne sich von ihren Eindrücken Rechenschaft geben zu können, fühlten die beiden jungen Männer diesem Menschen gegenüber ein unbeschreibliches Unbehagen; sie betrachteten ihn mit einer Neugierde, die an Staunen grenzte.
    Nur der Chevalier von Blignac hatte nichts von seiner Ruhe verloren; er machte ein Kuvert zurecht, stellte die Flaschen in eine Linie und ordnete die etwas verwirrten Schüsseln mit einer Geschicklichkeit, auf die Meister Baudrillart gewiß eifersüchtig gewesen wäre.
    Der Reisende war der erste, der das Schweigen brach. Er schien sich selbst zwingen zu müssen, als er sich an seine drei Gesellschafter mit den Worten wandte:
    »Nachdem ich Ihnen für Ihre Höflichkeit gedankt habe, meine Herren, bleibt mir noch zu erfahren übrig, was Sie von mir erwarten.«
    In diesem Augenblicke hatte der Gaskogner einen Schemel an den Tisch herangezogen und betrachtete die gastronomischen Dispositionen, die sein Werk waren, mit stolzer Genugtuung.
    »Wir erwarten,« erwiderte er, »daß Ihr Euch an diesen Platz setzt, mit dem Rücken gegen das Feuer, und Eure Rechte an dieses Bataillon Flaschen lehnend, das die Reserve sein wird; dann, daß Ihr die Bresche in dieser Pastete erweitert und sie mit Sturm nehmt, worauf noch übrig bleiben wird, die Hilfsarmee, welche durch diese Butte mit Krabbensoße repräsentiert wird, in die Flucht zu schlagen.«
    »Laßt Eure Artillerie spielen,« fuhr Herr von Blignac fort, indem er eine ganze Flasche Wein in das größte Glas, das er finden konnte, goß; »an Munition soll es Euch nicht fehlen.«
    »Das ist zu viel Ehre für einen Mann meiner Art, meine Herren, was auch mein Stand sei«, erwiderte der Fremde.
    Paul Vertaut vereinigte seine Bitten mit denen des Gaskogners; der junge Offizier beobachtete den Fremden immer stillschweigend.
    Dieser ließ sich nicht mehr lange bitten. Er nahm auf dem Schemel Platz, und das ungeheure Stück Pastete, das Herr von Blignac auf seinen Teller gelegt hatte, war bald verschwunden.
    Aber zur großen Verwunderung des Gaskogners streckte der Unbekannte, anstatt sich des Bechers von den ungeheuren Proportionen, den der Gaskogner bis zum Rande gefüllt hatte, zu bedienen, die Hand aus, ergriff eine Kanne Wasser, welche die Zecher unberührt gelassen hatten, goß sich daraus ein Glas voll und führte dieses an seine Lippen.
    Herr von Blignac war stumm und wie versteinert über das, was sich vor seinen Augen zutrug.
    »Wie?« rief er. »Unter soviel Flaschen wählt Ihr gerade diese?«
    »Warum nicht? Ich trinke nie Wein, mein Herr«, erwiderte der Fremde einfach.
    »Ihr trinkt keinen Wein? Zum Teufel, ich will den Grund wissen!«
    »Was kümmert Sie das?« sagte der Unbekannte in düsterem Tone. »Vielleicht, weil er rot ist.«
    Das Gesicht Herrn von Blignacs drückte bei der Kundgebung einer Mäßigkeit, welche die von ihm entworfenen Pläne zuschanden zu machen schien, eine so vollständig komische Enttäuschung aus, daß Paul Bertaut nicht sein lautes Lachen zurückhalten konnte.
    Der Fremde glaubte, daß man sich über ihn lustig mache; seine Brauen zogen sich zusammen, und mit einer Bewegung, so rasch wie der Gedanke, faßte er mit der Hand an seinen Degengriff.
    Der junge Offizier hielt seinen Arm zurück, und schnell beruhigt stieß der Mann die Klinge in die Scheide zurück.
    »Mein Herr,« sagte der Offizier, »wir müssen uns entschuldigen. Ich möchte um keinen Preis, daß Sie mich für den Mitschuldigen einer Unbesonnenheit hielten, die sich einen Mann, der einen Degen trägt und der, wenn er nicht Edelmann ist, wahrscheinlich wenigstens Soldat gewesen, zum Opfer wählte.«
    »Eine offene Erklärung wird uns auf der Stelle rechtfertigen, mein Herr,« setzte Paul Bertaut hinzu. »Die Höflichkeit unseres Freundes Herrn von Blignac war nicht so uninteressiert, als Sie glauben mochten, er hatte gehofft –«
    Der Gaskogner fühlte sich veranlaßt, selbst das Wort zu ergreifen.
    »Das heißt: er hofft noch!« rief er und mischte schnell ein paar Spiele Karten, die der Wirt auf den Tisch gelegt hatte:
    »Ja, mein Herr, wenn ich einiges Erstaunen über Ihren Geschmack an einem Getränke zu

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