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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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und Lehren, die ich Paul Bertaut vorgepredigt hatte. Als ich das junge Mädchen, in das ich verliebt war, so schön und fest schlafend auf ihrem Lager sah, ging meine Tugend dahin wie Rauch, den der geringste Wind fortweht, und ich zeigte mich nicht zurückhaltender und klüger, als Paul es gewesen wäre; ich fürchtete mich nicht, ein Verbrechen zu begehen, das ich ihm gegenüber so scharf getadelt hatte.
    Als ich am anderen Morgen in meiner Wohnung war, kam der Bediente Paul Bertauts zu mir und brachte mir die Nachricht, daß sein Herr mich auf dem Platze Puits-Sale erwarte.
    In dem Glauben, daß er mich fordern wolle, nahm ich meinen Degen und folgte dem Bedienten.
    Auf dem genannten Platze fand ein großer Zusammenlauf von Menschen statt, und ich war sehr erstaunt, daß Paul Bertaut gerade diesen Ort gewählt hatte, um uns zu unterhalten oder einander zu töten, wie ich es auch schon über die Art gewesen war, in der er mir seine Forderung zugeschickt hatte.
    Aber Paul Bertaut zeigte, als ich ihm begegnete, weder Zorn noch Groll über das, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Weit davon entfernt, reichte er mir die Hand, die ich nicht annahm, da ich mich noch recht gut erinnerte, daß er sich mit dem Herrn von Blignac gegen mich verbunden hatte.
    Er zeigte mir ein Schafott, das in der Mitte des Platzes vollständig hergerichtet war, und lud mich ein, es von dieser Seite zu betrachten. Ich tat es und erkannte in einem Manne, der gerade einige Knaben an den Schandpfahl befestigte, meinen Wirt aus dem Hause in dem »verwünschten Gehöft« und den Vater meiner Geliebten. Dabei sagte mir Paul Bertaut, daß, nachdem er erfahren habe, daß seine Schöne die Tochter Meister Pierre Jouannes, des Scharfrichters der Stadt Rouen und der Grafschaft Dieppe, sei, er mir dafür danke, daß ich sie für mich genommen habe, denn er wolle in keine Beziehung mit dem Geschlechte des Henkers treten.
    Jetzt war die Reihe an mir, auf ihn loszugehen, aber es war eine solche Menschenmenge um uns, daß wir fast sofort getrennt wurden, und ich kehrte sehr betrübt und auf grausame Weise gebeugt in meine Wohnung zurück.
    Als die Stunde kam, in der ich nach dem Schlosse gehen mußte, verließ ich meine Wohnung, ohne irgendeinen Entschluß gefaßt zu haben, weder für noch wider.
    Unterwegs hielt ich mich schon für überzeugt, daß meine Bekannten sich von mir abwenden würden, und im Schlosse sah ich sehr bald, daß diese Herren vom Regimente des Herrn de la Boissière mich an diesem Tage viel kälter empfingen, als sie es sonst zu tun pflegten.
    Da ich niemals eine besondere Freundschaft mit jemandem unterhalten hatte, machte ich mir darüber keine große Sorge, und als die Exerzitien vorüber waren, ging ich, in meine Gedanken versunken, fort.
    Ich wählte meinen Weg nicht, indessen hatte mich die Allmacht der Gewohnheit den gefühlt, den ich alle Tage einschlug, und ehe ich mich dessen versah, befand ich mich wieder dem »verwünschten Gehöfte« gegenüber.
    Margarita stand in der Tür; sie hatte mich gesehen, und selbst wenn ich hätte umkehren wollen, wie ich es nicht tat, so würde ich es aus Höflichkeitsrücksicht nicht gekonnt haben. Ich ging also zu ihr und fand sie so bleich und entstellt, daß die Gewissensbisse, die mich schon quälten, sich in grausame Angst verwandelten. Da Meister Pierre Jouanne, ihr Vater, noch nicht mit seinem Geschäfte in der Stadt fertig war, ging ich mit ihr im Garten umher; ich wagte kaum, mit ihr zu sprechen, war aber so glücklich, bei ihr zu sein, daß ich, als ich Abschied genommen hatte, mir gestehen mußte, es würde einfältig von mir sein, wenn ich, der eine so reizende Freundin besaß, sie aus eiteln Skrupeln verließe, und daß, wenn auch Meister Jouanne, der Vater, räderte und würgte, doch nicht ein Tropfen Blut an den Händen klebte, die sie mir zu küssen erlaubte.
    Und in der Tat kehrte ich am nächsten und an den folgenden Tagen wieder, und an allen diesen Tagen – und zwar noch mehr als früher– erlaubte sie mir keine Vertraulichkeiten, und ich wagte nicht, mich darauf zu berufen, was ich ihr wie ein Dieb gestohlen hatte. Meine Freundschaft für sie, wenngleich sie auch die Tochter des Henkers war, wurde immer größer, ich liebte sie nicht weniger, als wäre sie die Tochter eines Königs gewesen, und mochte nicht an den Beruf und das Handwerk ihres Vaters denken.
    Inzwischen war Herr Valvins von Blignac wieder hergestellt und von seinem Degenstiche geheilt, und nun begann er

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