Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
Vom Netzwerk:
was er erfahren konnte, war, daß das Haus, in dem er eine so großmütige Gastfreundschaft gefunden hatte, sich das »verwünschte Gehöft« nannte.
    Als er in sein einsames kleines Zimmer zurückgekehrt war, bemerkte Charles mit Schrecken, daß ihm das Andenken an das schöne junge Mädchen von dem »verwünschten Gehöft« dahin gefolgt war und daß er nicht mehr den Schatten der Toten vor sich beschwören könne, ohne daß ein anderes Bild sich zwischen diesen Schatten und ihn stellte.
    Von diesem Augenblick seines Lebens an beginnt mein Ahne seine eigene Erzählung.
Manuskript Charles Sansons
    Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit maß unsere Schultern nach dem Kreuze, das er uns zum Tragen auflud.
    Ein großer Kummer trübte mein jugendliches Alter, aber statt ihn zu bekämpfen und durch vernünftige Überlegung, Kasteiungen und Gebet zu besiegen, gefiel ich mir so darin, ihn zu unterhalten, daß man mir eher das Leben als meine törichte Liebe hätte nehmen können und daß diese Knechtschaft meinen Geist vorbereitete, allen den heftigen Entschlüssen zu folgen, die meinem Herzen gefallen würden, ihm aufzuerlegen.
    Im Jahre 1662 war ich Leutnant im Regiments des Herrn Marquis von La Boissière, das, nachdem es im Jahre 1658 unter dem Herrn Vicomte Turenne die Kampagne mitgemacht hatte, in der man Bergen und Gravelingen nahm, nach der Stadt Dieppe in Garnison gelegt war.
    In diesem Jahre 1662 starb mein älterer Bruder, der Rat, in der Stadt Abbeville, wo er wohnte, und dies war für mich eine große Trauer und Schmerz, um so mehr, als Colombe Brossier de Limeux, seine Witwe, einige Tage später auf sehr grausame Weise diese Welt verlassen mußte.
    Infolge eines Sturzes mit meinem Pferde, der mein Leben in große Gefahr gebracht hatte, wurde ich nach dem Hause eines armen Mannes getragen, der dieses Haus innehatte, das man das »verwünschte Gehöft« nennt und das außerhalb der Mauern der Stadt Dieppe in der Nähe des Kirchhofes an dem Wege nach Neufchâtel liegt, an einer Stelle, wo es keine anderen Häuser gibt.
    Dieser Mann handelte an mir wie der barmherzige Samariter; er wusch und verband meine Wunden und entließ mich nicht eher, als bis ich geheilt war. Ich nahm aber aus seinem Hause ein anderes, viel schlimmeres Übel als das, welches er geheilt hatte, mit: ich verließ sein Haus, verliebt in ein Mädchen namens Margarita, das sein einziges Kind war.
    Anfangs wollte ich nicht daran denken.
    Der grausame Verlust, den ich in den Personen meines vielgeliebten Bruders und meiner teuren Schwägerin erlitten hatte, erfüllte mein Herz mit Trauer, und ich beschloß, sie mein ganzes Leben lang zu beweinen.
    Aber die Entschlüsse der Menschen sind nur Chimären, und wider meinen Willen sah ich während des Tages und während der Nacht das Bild derer, an die zu denken ich mir als ein Verbrechen vorwarf.
    Um diese Zeit war ein Cousin von mir, der Paul Bertaut hieß, in Handelsgeschäften nach Dieppe gekommen, da er zu denen gehörte, die Neu-Frankreich in Indien besaßen, bevor unser König und Herr es aus ihren Händen kaufte.
    Obgleich ich damals schon meinesgleichen infolge des mir widerfahrenen Mißgeschicks und Elends haßte und die Einsamkeit ihrer Gesellschaft vorzog, liebte ich Paul Bertaut, den ich kennengelernt hatte, als ich auf den Schiffen des Königs vor Quebeck lag, doch sehr.
    Paul kannte nicht die wahre Ursache meiner bösen Stimmung und Melancholie, dennoch gab er sich alle Mühe, mich zu zerstreuen und mir Vergnügen, sowohl durch seine eigene Gesellschaft als durch die eines Herrn Valvins von Blignac, zu verschaffen, der wie ich eine Leutnantsstelle in dem Regimente des Herrn Marquis de la Boissière innehatte und ein tapferer und sehr lustiger Kamerad war.
    An einem Herbsttage, als wir alle drei am Ufer des Meeres im Hause Isaak Crocheteus speisten, erklärte mein Cousin Paul im Tone eines Aufschneiders, daß er vor Ablauf des Monats das schönste Mädchen, das in der Stadt Dieppe und ihren Vorstädten sei, zu seiner Geliebten gemacht haben wollte.
    Der Herr von Blignac, der seiner Natur nach auch ein großer Schmeichler und voller Lobeserhebungen für den war, der sich gern von ihm betrügen ließ und seine Schmausereien bezahlte, bestätigte diese Versicherung, als ob er die Dirne kenne.
    Ich fühlte mich sehr erregt, und mein Herz begann lauter zu schlagen, denn ich hatte schon bemerkt, daß mein Cousin seit einigen Tagen die wilde Feldblume, die sich so nennt, [2] wie diejenige

Weitere Kostenlose Bücher