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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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hatte, auch nicht eine Spur davon.
    Seine rollenden Augen richteten sich mit sichtlicher Angst auf die Gesellschaft und versuchten das Gedränge derer, die ihn im Kreise umgaben, zu durchdringen. Als er die Gestalt, die er zu suchen schien, nicht erblickte, ließ er seinen Kopf auf die Brust niederfallen.
    Der Greis ergriff wieder das Wort.
    »Meine Herren,« sagte er, »dieser Mann hat seine Brüder bestohlen. In der Familie, deren Haupt zu sein ich die Ehre habe, ist es Sitte, daß von allen Einnahmen, die der Himmel uns schickt, ein Teil beiseite gelegt werde; dieser Teil verbleibt für schlechte Tage als Reserve oder auch für diejenigen unter uns, die in ihren Handelsgeschäften Widerwärtigkeiten erlitten haben. Dieses Geld habe ich diesem Manne anvertraut, und er hat es sich selbst zugeeignet. Als ich von ihm Rechnungslegung forderte, war seine Börse ebenso leer als das Gehirn eines Abbé. Habe ich wahr gesprochen?«
    Der Bettler machte ein bejahendes Zeichen.
    »Schändlicher Mensch!« fuhr der Greis, sich an den Bettler wendend, fort; »wie ich, hast du deinen Platz unter den Bettlern selbst gewählt. Du wußtest recht gut, daß die Gesellschaft, welche du hintergingst, ihre Gesetze hat. Du wußtest auch, welche Strafe auf diesen Verrat steht!«
    »Ich wußte es«, murmelte der Mann.
    »Der Tod! Der Tod!« riefen alle Anwesenden tumultuarisch. »Tod dem schlechten Menschen! Tod dem Diebe!«
    Der Greis gebot Stillschweigen.
    »Du hast den Tod verdient,« sagte er zu dem Bettler, »und du sollst ihn erleiden, aber ich möchte dir wenigstens die Qualen ersparen, die ihn noch schrecklicher machen.«
    Der arme Teufel machte eine Gebärde, die bezeichnen sollte, daß die Qualen, mit denen ihn der Hauptmann bedrohte, ihm gleichgültig seien.
    »Sei in deiner letzten Stunde aufrichtig, mein armer Bursche, und bei der Freundschaft, die ich für dich gehabt habe, schwöre ich dir, daß du nicht auf die Tortur kommen sollst, müßte ich auch dein Schicksal teilen. Was hast du mit dem Gelde dieser Leute gemacht?«
    »Ich habe es dir schon gesagt, Hauptmann,« erwiderte der Bettler, »ich habe es durchgebracht.«
    »Du lügst – wenn er alt geworden, wird der Teufel Eremit; seitdem du alt geworden, bist du sonderbarerweise geizig geworden. Du lügst, sage ich dir! Du hast das Geld irgendwo vergraben; zeige uns an, wo wir wiederfinden können, was uns gehört!«
    Der alte Bettler blieb stumm, und die Hitzigsten in der Bande wollten sich auf ihn stürzen. Der Greis schützte ihn noch einmal, aber es war augenscheinlich, daß, so groß sein Ansehen bei den Bettlern auch sein mochte, dieses bald nicht mehr Stich halten werde; er kam auf meinen Ahnen zu.
    »Also, Herr von Longval,« sagte er zu ihm mit leiser Stimme und indem er besonders den Titel, den er ihm gab, betonte, »dieser Mensch ist für Sie weiter nichts als der Bettler, dem Sie auf dem Kirchhofe von Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle einige Pfennige hinwarfen, durchaus nichts anderes?«
    Der greise Scharfrichter wich betroffen zurück. Die undeutlichen Erinnerungen, denen er, da sie zu unwahrscheinlich waren, sich nicht zu überlassen gewagt hatte, wurden ihm plötzlich klarer. Er betrachtete die beiden Personen, die er vor sich hatte, genauer, und in einer Sekunde fand er unter ihren verwelkten Gesichtszügen und ihrer pergamentartigen Haut die beiden Gefährten seiner Jugend wieder.
    »Blignac!« – »Paul!« – Er schrie laut auf und stürzte sich auf den Bettler. »Du bist hier?! Du mitten unter diesen –.«
    Herr von Blignac ließ ihn nicht aussprechen.
    »Gottes Tod! Herr von Longval,« sagte er mit der ihm eigentümlichen sarkastischen Betonung, »es scheint mir, daß wir uns gegenseitig keine Vorwürfe zu machen haben; obgleich wir verschiedene Wege gegangen sind, können wir uns doch rühmen, alle drei recht hübsche Karrieren gemacht zu haben.«
    Die Unverschämtheit, die Herr von Blignac in seiner Erniedrigung bewahrt hatte, empörte Sanson von Longval, aber gleichzeitig fühlte er ein schmerzliches Mitleid mit seinem Vetter, der für sein liederliches Leben so gerecht, aber auch so grausam gestraft worden war. Er kniete neben ihm nieder und versuchte ihn sowohl zu Gefühlen der Reue zurückzuführen, als ihn zu dem Geständnisse, das man von ihm verlangte, zu bewegen.
    Paul Bertaut blieb aber taub gegen alle Bitten, und als hätte er ihnen ein Ziel setzen wollen, schrie er mit zitternder Stimme:
    »Ich habe es gestanden – ich habe dieses Geld

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