Tagebücher der Henker von Paris
wohin ihm Paul Bertaut schon vorangegangen war.
Dieser hatte von seinen Kreuz- und Querzügen ein Kind mitgebracht, das er von einer zu der Bande gehörigen Mulattin hatte.
Seine Liebe zu diesem Kinde übte großen Einfluß auf seine Empfindungen. Er konnte sich zwar nicht entschließen, mit seiner beklagenswerten Vergangenheit zu brechen, diese Liebe brachte ihn aber wenigstens dahin, an den Plündereien nicht mehr direkten Anteil zu nehmen. Da er sich nicht entschließen konnte, sich von seiner Tochter zu trennen, hatte er angefangen, mit ihr an den Kirchentüren zu betteln.
Was Herrn von Blignac anbetraf, so hatte er den Schauplatz seiner Taten, aber nicht seine Lebensweise geändert.
Die Vergnügungsörter der Stadt waren nicht weniger ergiebig für ihn, als die Landstraßen es gewesen; er fand dort doppelte Gelegenheit, seine vorherrschende Leidenschaft zu befriedigen und zahlreicheren Narren zu begegnen, die er im Spiel plündern konnte.
Bei dieser neuen Existenz mußte er aber sehen, wie der Zauber verschwand, den der Hochstraßenräuber auf Leute ausübte, deren Mehrzahl genug Kühnheit besaß, eine Börse, einen Degen oder Mantel zu entwenden, und obgleich dieselben diesem Patriarchen des »Böhmerlandes« immer noch große Vorzüge gaben, so hatte er doch schon die Erfahrung gemacht, daß dieser Vorzug an dem Tage, an dem er sich mit der Majorität in Opposition befinden würde, schwinden müsse.
Die Gegenwart Sanson von Longvals reichte nicht allein hin, den lustigen Zynismus, den er affektierte, herabzustimmen, sondern sie bewirkte auch, daß er die Aufrichtigkeit in seiner elenden Lage, vielleicht noch das einzige Gute an ihm, nicht zu bewahren wagte; sie zwang ihn, die Maske der Heuchelei vorzunehmen.
Er kniete bei dem Bettler nieder, er befahl ihm nicht mehr, zu gestehen, sondern bat ihn darum; er legte so viel Salbung in seine Bitten und sprach mit so viel Zärtlichkeit sein Bedauern über die unbegreifliche Hartnäckigkeit des armen Alten aus, daß mein Ahne ihn eine Weile für aufrichtig hielt.
Paul Bertaut blieb trotz so vieler Beredsamkeit taub; als jener von ihm und den Strafen, die ihn erwarteten, sprach, schien er ihn nicht einmal zu verstehen; er hatte alles vergessen, ausgenommen, daß man sein Kind bedroht habe, und mit der höchsten Festigkeit eines der edelsten Gefühle bezog er alle Antworten auf seine Tochter; er versicherte dem Hauptmann, daß sie unschuldig sei, und bemühte sich, dieser Überzeugung auch in dem Geiste des Böhmenchefs Aufnahme zu verschaffen; mit den schrecklichsten Schwüren rief er den Himmel zum Zeugen, daß er allein der Schuldige sei.
Blignac erhob sich wie in tiefer Entmutigung; durch eine Gebärde schien er zu Sanson von Longval sagen zu wollen: »Ich kann nicht mehr tun.«
»Sie werden doch nicht den verlassen, dessen ganzes Unglück Sie allein hervorgerufen haben?« fragte mein Ahne.
Das Gesicht des alten Hauptmanns erbleichte unter seiner Maske von Runzeln; er zögerte eine Sekunde, aber die Leute waren schon so nahe getreten, daß sie jedes seiner Worte hören mußten.
»Bah!« sagte er mit einer zu schrecklichen Gleichgültigkeit, als daß man sie für erheuchelt hätte halten können; »was tut es in unserem Alter, ob es ein bißchen früher oder später geschieht?«
»Sie meinen gewiß, daß es wenig tut, ob so weiße Köpfe wie die unserigen schon heute oder morgen fallen, wenn wir hier unterliegen, indem wir ihn verteidigen?«
Ein wahrer Donner von Verwünschungen erhob sich in dem Kreise der Banditen, und ihr Hauptmann, der begriff, daß man mit der Sache enden müsse, gab ein Zeichen. Der dreifache Kreis löste sich und vierzig Arme streckten sich nach dem, der bestimmt war, den blutdürstigen Appetit dieser Elenden zu befriedigen.
Sanson von Longval versuchte sie zurückzustoßen und mit seinem eigenen Körper den armen Bertaut zu decken; aber von dem Wogen dieser Menschenwellen fortgerissen, war er bald weit von seinem Vetter getrennt, und als er einem der Banditen das Pistol aus dem Gürtel reißen wollte, versetzte ihm dieser, seiner Absicht zuvorkommend, einen Faustschlag, der ihn zu Boden streckte.
Als er wieder zu sich kam, war Blignac an seiner Seite und bemühte sich, ihn dadurch wiederzubeleben, daß er ihm einige Tropfen Branntwein auf die Lippen goß.
In demselben Augenblicke ertönte ein schrecklicher Schrei.
Es war der erste Angstruf, welchen der Schmerz Paul Bertaut entlockte.
Die Banditen hatten bereits eine Tortur
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