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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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und machte eine furchtbare Fleischwunde, ohne die Lebensnerven zu treffen.
    Ehe jener noch daran denken konnte, seinen Versuch zu wiederholen, erhob sich der Delinquent, dem Todesschrecken, der die menschlichen Kräfte verdoppelt, gehorchend, zerriß die Bande, die ihn fesselten, und begann, ganz außer sich, in dem Keller umherzulaufen.
    Die Frauen hielten ihre Gesichter mit den Händen bedeckt und stießen ein wirres Schreckensgeheul aus, die Männer liefen, wie von einem Zauber getrieben, wild durcheinander, und Paul Bertaut, ganz von Blut übergossen, floh, während er mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr an sich hatte, nach dem Tode rief, vor dem, der ihm denselben geben sollte.
    Bei diesem Anblick vergaß mein Ahne alle Gefahren, die ihn umgaben; er hatte nur noch den einen Gedanken, seinen unglücklichen Verwandten der Grausamkeit seiner Verfolger zu entreißen und sich an einem derselben zu rächen.
    Mit unwiderstehlicher Gewalt und ehe Herr von Blignac seiner Absicht entgegentreten konnte, hatte er den Degen, den jener an der Seite trug, aus seiner Scheide gerissen.
    In diesem Augenblick kam der Delinquent, immer noch gefolgt von seinem improvisierten Henker, an ihm vorüber. Der letztere machte sich eben bereit, seinem Opfer einen neuen Schlag zu geben; plötzlich aber pfiff das breite Schwert, das der alte Scharfrichter führte, durch die Luft. Paul Bertaut, der den Tod, die einzige Wohltat, die er noch zu erwarten hatte, von dieser befreundeten Hand empfing, stürzte, ohne einen Seufzer von sich zu geben, zu Boden, und ehe der Bandit, der unbeweglich stehengeblieben war, sich von seiner Betroffenheit erholt hatte, erhob Sanson von Longval die blutige Klinge noch einmal und stieß sie ihm tief in die Brust.
    In demselben Augenblick legte sich eine Wolke auf die Augen meines Ahnen, seine Kräfte verließen ihn, und obgleich sich keine Waffe gegen ihn erhoben hatte, fiel er um, als sei er vom Blitz getroffen.
    In der Frühe des folgenden Tages brachten Landleute, die Lebensmittel in die Stadt fuhren, den greisen Scharfrichter in seine Wohnung zurück.
    Sie hatten ihn in einem Graben der nach der Pikardie führenden Landstraße gefunden, und da es ihnen schien, daß er noch atme, hatten sie ihn auf ihren Wagen gelegt.
    Ein herbeigerufener Arzt erklärte, daß Sanson von Longval einen Schlaganfall erlitten habe, und staunte, daß er denselben überlebt hatte. Als er seinen Arm entblößte, um ihm zur Ader zu lassen, bemerkte er mit noch größerem Erstaunen, daß diese Operation bereits vollzogen sei und daß mein Ahne wahrscheinlich nur diesem Umstand sein Leben verdanke.
    Es verging lange Zeit, ehe man sich das Geheimnis erklären konnte, denn eine lokale Lähmung war die Folge des Schlaganfalles gewesen, und solange diese anhielt, war Sanson von Longval nicht imstande, den Seinigen zu erzählen, was sich in dieser schrecklichen Nacht mit ihm zugetragen hatte.
    Der Aufenthalt in Paris wurde ihm so verhaßt, daß er endlich darauf ganz verzichtete; er zog mit Renée Dubut, seiner Frau, in eine kleine Meierei zu Condé im Lande Brie, die er ein paar Jahre zuvor gekauft hatte, zurück und fand dort endlich die einzige Ruhe, die unsersgleichen hoffen kann: den Tod!
    Es scheint, daß Sanson von Longval einige Zeit vor seinem Tode das tragische Ende des Herrn von Blignac, dem er es allem Anscheine nach verdankte, daß er wohlbehalten aus der Banditenhöhle gekommen war, noch erfahren habe.
    Der Tod des gaskognischen Edelmanns wurde von zu originellen Umständen begleitet, als daß ich ihn mit Stillschweigen übergehen könnte; übrigens scheint, ohne daß ich irgendeinen Schluß aus dem Zusammentreffen von Umständen, das man dem Zufall zuschreiben kann, ziehen wollte, dieser Tod die dritte Prophezeiung des Vaters der Marguerite Jouanne zu verwirklichen.
    Damals lebte im Dorfe Cajeaux bei Palaiseau ein sehr reicher Priester, den man beschuldigte, seine Revenüen zusammenzusparen. Leider hatte der brave Priester die Manier, selbst in den unschuldigsten Gesichtern die von Dieben zu erblicken, und dieses von schlechtem Geschmack zeugende Mißtrauen hatte bisher die Unverletzlichkeit seines Allerheiligsten bewahrt.
    Dennoch glaubte Herr von Blignac eines Tages das Mittel, die Wachsamkeit dieses Drachen im Priesterrock täuschen und in seine Schatzkammer dringen zu können, gefunden zu haben.
    Er schlug einem halben Dutzend seiner vertrautesten Leute vor, sich in Häscher zu verkleiden; dann sollten sie einen

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