Tagebücher der Henker von Paris
öffentlichen Kredit. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich bin entflohen und direkt hierher gekommen, denn ich habe nur noch Hoffnung zu dir. Nur du allein kannst ihn retten, und du wirst ihn retten – nicht wahr?«
»Madame,« erwiderte Charles Sanson traurig, »ich bin ebensowenig imstande zu retten als zu verderben. Ich bin nur ein Arm, ein Schwert, das ein anderer Wille als der meinige in Bewegung setzt. Wenn man mir sagt: »Töte!« so muß ich töten; sagt man mir: »Schlage zu!« so muß ich zuschlagen. Ich bin gerade der Gegensatz des Herrn Regenten, von dem Sie soeben zu mir gesprochen haben; er hat das Recht der Gnade im Namen des Königs, ich habe jedoch nur das des Todes.«
»Aber du kannst ihn entschlüpfen lassen. Höre mich an: es werden Maßregeln für seine Entweichung während des Transports von der Conciergerie nach dem Grèveplatze getroffen sein. Widersetze dich seiner Flucht nicht, und du wirst königlich belohnt werden.«
Mein Ahne machte eine Bewegung.
»Du weißt vielleicht nicht einmal, von wem ich sprechen will. Es ist der Graf Anton von Horn, ein armer Jüngling von kaum zweiundzwanzig Jahren. Man sagt, er habe einen Juden in der Straße Quincampoir getötet, um ihm seine Brieftasche abzunehmen. Das ist aber nicht wahr; ein Piemontese hat es getan.«
»Madame,« unterbrach sie Charles Sanson, »seit einer Weile habe ich nicht mehr gezweifelt, daß Sie mir die Ehre angetan haben, des Herrn Grafen von Horn wegen hierher zu kommen. Aber ich wiederhole Ihnen: ich kann nichts, durchaus nichts mehr für Herrn von Horn als für den niedrigsten Verbrecher tun, den mir die Justiz des Parlaments überliefert. Meine Pflicht besteht darin, den Urteilsspruch des Parlaments zu vollziehen. Ich werde nichts darüber und nichts darunter tun. Wenn die Verwandten oder Freunde des Herrn Grafen von Horn ein Komplott gemacht haben, um ihn während des Transportes oder an dem Orte der Strafvollziehung zu befreien, so werden sie bei mir weder Beistand noch Widerstand finden. Ich hatte schon die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich unempfindlich bin, und wer ›unempfindlich‹ sagt, der sagt auch ›unbeweglich‹. Ich werde erst dann die Hand an diesen unglücklichen Jüngling legen, wenn alle menschliche Hilfe verloren ist.«
»O Dank!« rief die arme Unbekannte, die durch diese Worte beruhigter schien. »Ich wußte wohl, daß du nicht ebenso unmenschlich wie jene sein würdest. Du bist der Scharfrichter, nicht wahr? Gut, jene sind: der Regent von Frankreich, ein Minister, der Generalkontrolleur der Finanzen! Sie sind die größten Personen im Staate, aber sie haben keine Seele, und zu dir muß ich kommen, um Mitleid für das Opfer ihrer Grausamkeit, ihrer Leidenschaften und Berechnungen zu erflehen! Hier, nimm diese Rolle, sie enthält hundert Louisdor, und am Tage nach der Rettung des Grafen komme zu mir und fordere, was du willst; ich gebe dir das Wort einer Königin, daß du zufriedengestellt werden sollst.«
Mein Ahne machte eine zurückweisende Gebärde.
»Behalten Sie dieses Geld, Madame,« beeilte er sich zu sagen. »Selbst wenn ich Ihre Hoffnungen teilen und auf eine unerwartete Hilfe, die den Herrn Grafen von Horn von dem ihm erwartenden schrecklichen Lose befreien sollte, rechnen könnte, so würde ich es mir zur Pflicht machen, jede Belohnung für meine Neutralität unter solchen Umstanden zurückzuweisen. Es ist Sache der Polizeigefreiten und Stadtwache, über die Person des Verurteilten zu wachen; wenn sie ihn entfliehen lassen, so mag Gott gepriesen sein, denn er erspart uns beiden einen großen Schmerz, Ihnen den, ihn sterben zu sehen, und mir, den tödlichen Streich auf ihn zu führen, übrigens«, setzte er in barschem Tone hinzu, »werde ich durch den König bezahlt, um mein Amt zu erfüllen, und ich wiederhole, daß ich nichts mehr tun kann.«
»Vorwärts!« rief die Dame, wieder ihre erste wilde und verzweifelte Energie annehmend, »spiele nicht den Heuchler und Süßling. Ich weiß, wo ich bin. Nun, willst du auch meinen Namen wissen? – Gleichviel, ich bin die Marquise von Parabere, und man nennt mich die Mätresse des Regenten. Ich will nicht, daß dieser junge Mann sterbe! – Hörst du wohl?«
Charles Sanson verneigte sich.
»Frau Marquise, die Tage des Herrn Grafen von Horn gehören leider nicht Ihrem untertänigsten Diener. Wenn ich das von der Vorsehung erwählte unwürdige Instrument bin, um eine Laufbahn, die so glänzend begann, so schrecklich zu endigen, so werde ich
Weitere Kostenlose Bücher