Tagebücher der Henker von Paris
schuldig sei. Diese Anklagen verdoppelten aber nur die Rachewut, die Nicolas verzehrte; er stieß auf Chavance mit solcher Heftigkeit zu, daß er sich selbst an der Hand verwundete und daß jener nicht mehr atmete, als er noch immer auf ihn losstach.
Dann hatte er ein paar Augenblicke gelauscht. Nichts rührte sich im Hause.
Er dachte daran, zu entfliehen; aber dieselbe Stimme, die ihm am Morgen zugerufen hatte: »Töte!« hatte ihn verhärtet und fragte ihn jetzt, ob der feste Schlummer, der die Sinne der schuldigen Gattin umfing, ihm nicht beweise, daß Gott mit ihm sei. Er war nun die Treppe hinaufgestiegen.
Er glaubte die Dunkelheit sich mit Gespenstern beleben zu sehen, die ihn aufzuhalten suchten, aber ein anderes Phantom, in ein Leichentuch gehüllt, das ihm das Gesicht bedeckte, löste sich aus der Finsternis los und ging, ihm Bahn brechend, vor ihm her.
So kam er an die Tür der Kammer seiner Mutter, und ehe er noch die Hand auf die Klinke gelegt, öffnete sich diese Tür geräuschlos von selbst. Er tat einige Schritte in die Kammer hinein; die Schläferin war nicht erwacht, aber Nicolas hörte deutlich ihre Atemzüge, und es schien ihm, als sei jeder derselben eine Bitte.
Das Messer war seinen zitternden Händen entfallen und rollte auf die Dielen, er selbst fiel zu Füßen des Bettes auf die Knie und fühlte sich so schwach, daß er nicht zu denken vermochte.
Da näherte sich ihm das Gespenst, das ihn hergeführt hatte, und, das Leichentuch aufhebend, zeigte es ihm ein schreckliches Gesicht mit herausgetretenen Augen, blauen Lippen und lang heraushängender Zunge.
In dieser schrecklichen Vision erkannte er seinen Vater.
Der Gehängte hob den Dolch auf und gab ihn in die Hand des Sohnes. Er zeigte ihm die bläulichen Spuren, die der Strick auf seinem Halse zurückgelassen hatte, er streckte dann die Hand gegen das Bett aus und wiederholte mit rauher, aber so mächtiger Stimme – wie der Jüngling erzählte –, daß man sie im Zölestinerkloster gehört haben müsse, dreimal:
»Töte! töte! töte!«
Nicolas hatte die Hand erhoben und ließ sie auf gut Glück niederfallen.
Ein Angstschrei ertönte, Frau Chavance murmelte einen Namen, der weder der eines ihrer Kinder noch der ihres zweiten Gatten war, und alles wurde wieder still.
Nicolas Larcher erzählte nicht, was mein Ahne von denen, welche ihn arretierten, erfahren hatte: daß man nämlich bei Tage, nachdem man den leblosen Körper Chavances in der Werkstatt gefunden, in das Zimmer seiner Frau gedrungen war und daselbst den Mörder betend und weinend vor dem zweiten Leichnam fand, so verzweifelnd und schmerzlich erregt wie der beste Sohn, dem der Himmel die, welche ihm das Leben gegeben, genommen hat.
Als er sein Geständnis beendet hatte, fragte er Charles Sanson mit einer gewissen Angst, ob er noch glaube, daß Gottes Hand nicht in dem Geschehenen gewirkt habe. Der alte Scharfrichter hatte begriffen, daß Kummer, Elend und besonders religiöse Exaltation die Vernunft des armen Nicolas erschüttert hatten und daß, als er sein Verbrechen verübte, er nur der Erregung nachgegeben hatte, die man Illuminismus nennt. Er wollte ihm nicht einen Glauben rauben, der seine letzten Augenblicke weniger bitter machen konnte.
Wie dem auch sei, die Justiz der damaligen Zeit kannte bei weitem nicht die gesetzmäßige Rücksicht der heutigen; selbst wenn es bewiesen worden wäre, daß Nicolas Larcher nur einer Verstandesverwirrung unterlegen sei, so würde er sein doppeltes Verbrechen doch auf dem Rade haben büßen müssen. Aber ein hitziges Fieber ersparte ihm diesen schrecklichen Tod; zwei Tage nach dem Besuche meines Ahnen wurde er krank und starb in einem wütenden Delirium, ehe man noch die Anweisung erhalten konnte, ihn aus seinem Kerker im Châtelet auf das Blutgerüst zu schleppen.
Eine Intrige unter der Regentschaft
Die Marquise von Parabere
Dubois, Law, der Regent.
Der Sohn Sanson von Longvals, der sich Charles, wie sein Vater, nannte, nahm von dem Amte offiziell Besitz, nachdem er es fünf Jahre nur verwaltet hatte.
Der Patentbrief, der ihn mit dem Amte bekleidete, ist vom 8. September 1703.
Charles Sanson hatte den sanften, melancholischen Charakter Marguerite Jouannes, seiner Mutter. Er war mehr zärtlich als leidenschaftlich und sollte nur einmal lieben, aber diese Liebe sollte bis zu seinem Tode dauern.
Er heiratete am 30. April 1707 Martha Dubut, die Schwester seiner Stiefmutter, für die er lange schon eine geheime Neigung gehabt
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