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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Geschwätz. Das geht so: «Ach, Sie sind Schriftsteller, wie interessant. Was schreiben Sie?» Ich, um nicht ausführlich zu sein: «U. a. literarische Reportagen – z. B. ‹Auf den Spuren von Faulkner den Mississippi entlang bis Oxford.›» «Oh, j’adore Faulkner – – – Annette, was hast du für ein himmlisches blaues Kleid an, wunderbar zu deinem Teint.» Aus. Selbst eine Lady Saatchi, unermeßlich reich wie alle Gäste, die immer die Bucht entlang auf ihre Yachten oder Villen («Die dort, da drüben, in St.-Jean-Cap-Ferrat!») zeigten, die unter anderem Namen eine recht erfolgreiche Romancière ist und nicht ungebildet (sie kannte z. B. Goethes Aufsatz über Shakespeare), fragte mich, wer denn das Drehbuch zum BLAUEN ENGEL geschrieben habe, hatte noch nie den Namen Heinrich Mann gehört (wurde in ein apartes Elfenbeinbüchlein eingetragen), hielt ihn für den Autor des MEPHISTO, und den eigentlichen Drehbuchautor Zuckmayer kannte sie auch nicht. Le Rhin est très profond: Ich sollte mal Malraux mit Maurois verwechseln oder Lady Sitwell mit einem ihrer Brüder verheiraten!
    Der Fotograf Newton, ein unsympathisch-ungebildeter Mann, ein social climber, der vom Fotografieren Arthur Millers berichtet, aber dessen Stücke nicht kannte, sagte auf meine Frage, ob er Fritz Kortner kenne: «Da war ich zu jung» – er ist mein Alter, hätte ihn also zigmal nach dem Krieg, da er oft in Deutschland war, sehen können –, um dann hinzuzufügen: «Aber unvergeßlich ist er in der ‹Dreigroschenoper›» (in der der gute Kortner nie je spielte). So war das alles. Die Leute sehen mich nie wieder.
    Aber wer SIEHT mich wieder?
    Makabres Beispiel vorgestern. ZEITchef Roger de Weck bei mir zum Abendessen (kam 1 volle Stunde zu spät). Wir wollten/sollten u. a. über die Ja-Nein-Verlängerung meines Vertrages sprechen, was ich brieflich VOR VIER WOCHEN (damit er’s rechtzeitig mit seiner Oberbehörde regeln kann) vorgeschlagen. Geredet wurde STUNDENLANG über ZEITinterna, seine Kümmernisse («Ich bin körperlich angeschlagen, habe lange keinen Urlaub gehabt»; wie ein Postbeamter – Chefredakteure sollen keinen «Urlaub» machen!!!), gar über einen homosexuellen Großvater (was wohl heißen sollte: Wir hatten auch einen Krankheitsfall in der Familie) – – – – – – aber endlos und Stunden kam nicht die Rede aufs Eigentliche. Dann hieß es: «Ich würde eigentlich gerne Ihren Vertrag verlängern.» Würde, eigentlich: Was heißt so ein Satz? Goanix. ICH mußte die Verabschiedung mit einem «Ich erwarte schriftlichen Bescheid bis Ende Mai» etwas abrupt-konkret gestalten.
    16. April
    Eleganter lettre au château des ZEITchefs, er sei der Zauberlehrling und ich «wahrlich ein Zauberer»; das ist zwar wohlerzogen nach einem Dinner, allein: kein Wort ZUR SACHE …
    Wie sehr doch die «Entfernungen» einreißen. Selbst mein Freund Wunderlich «verspitzt» sich (nicht gegen mich): Er verbietet das Ausstellen seiner Bilder in einer Janssen-Ausstellung, die den Titel «Zeitgenossen» trägt; das sehr zu Recht, zumal nach allem, was ihm in Hamburg NICHT widerfährt. Aber die Bemerkung: «Ich bin nicht der Zeitgenosse einer Lokalgröße» – – – nun ja. Auch seine verständliche Ablehnung meiner Einladung, mich in Nizza (aus Vassols) zu besuchen mit der Bemerkung, er sei zu alt für Reisen und um in fremden Betten zu schlafen – – – und nun: ICH werde im selben Fax eingeladen, IHN zu besuchen, und an die Hochzeit (für mich eine teure Reise) wird wohl nicht mehr gedacht.
    Helmut Schmidt bedankt sich per gedrucktem Carton, was OK ist, nach VIER Monaten, was gar nicht OK ist, für meinen Geburtstagsbrief; der seine kommt mit Portostempelmaschine der ZEIT – was nun ÜBERHAUPT nicht OK ist –, was geht die ZEIT sein Geburtstag an, das ist doch etwas Privates, dafür müßte die Sekretärin des sich so gerne preußisch-korrekt gebenden Herrn Briefmarken lecken!
    18. April
    Gestern abend Pausen-Flucht aus allzu provinzieller, traditioneller Shakespeare-Inscenierung. Interessiert mich eventuell allmählich GARNICHTS mehr? Jedenfalls war ich so enttäuscht von dem bläßlichen Aufsagen eines meiner Lieblingsmonologe der Theaterliteratur, daß ich ging.
    ICH BIN EIN JUDE. HAT NICHT EIN JUDE AUGEN? HAT NICHT EIN JUDE HÄNDE, GLIEDMASSEN, WERKZEUGE, SINNE, NEIGUNGEN, LEIDENSCHAFTEN? MIT DERSELBEN SPEISE GENÄHRT, MIT DENSELBEN WAFFEN VERLETZT, DENSELBEN KRANKHEITEN UNTERWORFEN, MIT DENSELBEN MITTELN GEHEILT, GEWÄRMT

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