Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
kaputt? Einerseits: Sein gellendes Schweigen zu allen Stasi-Wende- oder Walser-Debatten ziert ihn. Andererseits ziert einen Schriftsteller natürlich NICHT, wenn er nicht mehr schreiben kann – bzw. SCHREIBEN kann er ja, die Sätze aus dem wirren Manuskript, die ich kenne, haben Kleistsches Format –, sein Schreiben nicht mehr in einen Zusammenhang bringen kann. Eine schmerzliche Katastrophe: Kann Kokain das alles bewirken, so viel zerstören?
17. Dezember
Mein lieber Freund Joachim Kaiser, enttäuscht über meine Krankheits-Absage zu seinem 70. Geburtstags-Fest, sagt: «Du hattest den Ehrenplatz neben E.» – und weiter: «Ach, der E. ist eben doch nur ein Schwuler, der früher links war und jetzt rechts ist.» Was ja besonders mir gegenüber höchst taktvoll ist.
Immer wieder: woher nur die für «unsereins» doch nie ganz zu verstehende tief-innere Abwehr gegen Homosexualität, auch bei sogenannten zivilisierten Menschen. Ist es doch AUCH Sexualneid, weil der enorm leichtgemachte Sex-Konsum der Schwulen inzwischen recht bekannt? Dieses Rasche, in 7 Minuten auf der Klappe oder in 20 Minuten im Park, gibt es ja für «Normale» nicht, so, wie es jemand mir neulich erzählte: Neben ihm auf der Klappe sagt der, mit dem er «im Gange» ist: «Wir müssen rasch machen, ich parke doppelt.» Da hupt es. Hosen hoch. «Das geht um mein Auto.» Raus, nach 2 Minuten wieder da. «Jetzt parke ich besser.» Dann ging’s weiter. Unvorstellbar wohl doch in «normaler» Situation?
Man stelle sich vor, es gäbe Parks – wie die Schwulenparks –, in denen Dutzende von Frauen herumstrichen, die mühelos und in wenigen Minuten für nix zu ficken wären: Es müßten vermutlich eigene Autobahnabfahrten dorthin gebaut werden mit kaufhausgroßen Parkplätzen.
Läppische Wellen schlagen ans Krankenlager: Anruf Gaus: Bericht vor allem von SEINER Krankheit, die – Stimmbandkrebs (und das für einen Fernsehmoderator!) – allerdings wirklich schlimmer/ernster. Dennoch leicht lächerlich: «Meine Prominenz brachte mich zum allerbesten Arzt, nobelpreisverdächtig.» Was sind wir doch alle für klein-ängstlich-eitle Leute; ich auch: bringe meinem Arzt UND der Vorzimmerdame Bücher von mir mit, darauf bedacht, daß «sie wissen, wer ich bin».
Anruf FAZ-Schirrmacher, berauscht von seiner Regieleistung in Sachen Walser-Bubis-Streit, keineswegs übersehend, daß Walser nicht ohne Schaden aus dieser Sache hervorgegangen, im Gegenteil: «Zum Abschied hat er Bubis seinen Schal übers Gesicht wehen lassen und gesagt: ‹Denken Sie an mich, Herr Bubis, wenn Sie mit der deutschen Sprache auf gutem Fuße bleiben wollen.›» Schirrmacher – dies nun tat wiederum MEINER Eitelkeit gut – betonte: «Das sage ich nicht, um Ihnen Komplimente zu machen», daß FJR sein Vorbild (nicht nur) in dieser Debatte sei respektive gewesen sei: «Mit Ihnen/durch Sie bin ich journalistisch sozialisiert worden, ich habe mir jetzt Ihre Emphase und Ihr Engagement geliehen – Ihr Charisma werde ich leider nicht erreichen.» Bißchen dicke …
31. Dezember
So gehe ich – in den letzten Tagen beim Anhören von Peter Wapnewskis ganz HERRLICHER Tristan-Platte gelernt habend, daß (auch) Tristan seine Mutter nie gesehen – gelassen-skeptisch in ein neues Jahr.
1999
8. Januar
Bizarrerien: Ein Mann namens Frank Ripploh, mit dem ich vor endlosen Jahren eine one-night-affair hatte; da erzählte er mir («Ich kenne dich, du bist doch …?») von vagen Filmplänen, und ich nahm das als die übliche Angeberei, er – – – nun, dieser machte tatsächlich seinen ganz komischen schwulen «Taxi-zum-Klo»-Film, bekam AIDS; ich besuchte ihn vor 2, 3 Jahren in Westerland in der Klinik – und nun höre ich, daß er mit erträglichen «Halbwerten» schwer reich geworden: an schwulen Porno-Videos. Er schlägt dem Tod mit der Brieftasche die Forke aus der Hand.
9. Februar
Rolf Hochhuth am Telefon. SOFORT: «Ich habe eben einen Brief an Wapnewski geschrieben, dem Mann gebe ich in meinem ganzen Leben nicht mehr die Hand …»: Wapnewski hatte bei seiner Trauerrede über Everding seinen, Hochhuths, Namen nicht genannt! Nun mag das ein – läßliches – Versäumnis sein, da ja tatsächlich Everdings letzte Theaterarbeit die Inscenierung von Hochhuths EFFIS NACHT war; aber ein Verbrechen ist es ja eigentlich nicht.
Doch so ging das ganze lange Telefonat, ein Sturzbach an Beschwerden und Krächen und «Demütigungen»; nur wenn er mal Atem holte, versuchte ich, auch mal was
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