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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Thomas-Mann-Tochter Erika die einzige «Grenzgängerin» war, die zwischen den verfeindeten Lagern Mann – Brecht verkehren durfte: also eine sehr besondere Marketenderin Courage.
    Ein eisig-klarer Wintertag, der Schauspieler-Wunsch der Thalbach: «Hoffentlich kommen viele Leute» ging in Erfüllung, wenngleich die REGISSEURIN Thalbach ziemlich versagt hatte: ein mickriges Pappkarton-Foto von Brasch (auch noch eines, auf dem er kaum zu erkennen war) an der «Kanzel», von der/vor der/hinter der ich sprach, die Lautsprecheranlage funktionierte nicht, es blieb ungeordnet und unübersichtlich, WER nun die Quasi-Witwe ist, da Brasch ja keine seiner Damen je geheiratet hatte, auf diese Weise einerseits die Thalbach, weil bekannt per se, im Mittelpunkt stand, andererseits die Kindesmutter, mit der er vor 11 Jahren die letzte Tochter hergestellt hatte, die neben ihr saß, stand.
    Die Versammlung – von Unseld über Peymann, Otto Sander oder Luc Bondy – so beeindruckend wie bedrückend. Letzteres, weil niemand aus dem sogenannten literarischen Leben da war, kein Senator, keine Kulturbeauftragte, auch kein 2.-Glied-Nevermann, niemand von den Feuilletons (Gerd sagte, ich fürchte, er hat sogar recht: «Aber Thomas Brasch ist doch ein vergessener Autor») – dafür aber viele Theater-Leute (ist es, weil die Rampenlicht lieben – und auch eine «Derniere» ist in gewisser Weise «Rampenlicht»??). Zugleich für meinen Geschmack – manchmal schien mir, ich war der einzig «Ergriffene», um ein Haar hätte ich nicht weitersprechen können – zu viele Sottisen und Eifersüchteleien, wobei mir noch der Berlin-schnoddrige Otto Sander am besten gefiel: Als ich auf dem Friedhof noch Freund Erich Arendts Grab besuchte und seltsamerweise das von Eisler nicht fand, schlenderte auch Sander herum und sagte auf meine Frage: «Welches Grab suchen Sie?» – «Das von Heiner Müller?», um im selben Augenblick zu sagen: «Ha, da ist es, ich habe es gefunden, das muß es sein» – – – und deutet auf einen Kitschtempel mit falschen griechischen Säulen.
    Nicht so gut gefiel mir etwa der Herr Unseld, der auf mein höfliches – ich dachte, dies ist nicht der Moment und der Ort, die Klingen zu kreuzen, wollte also «nett» sein – «Da haben Sie einen Ihrer wichtigen Autoren verloren» kühl antwortete: «Ich habe sooo viele wichtige Autoren.» Widerlich. So war wohl auch sein Na-ja-Kompliment: «Großartig, IHRE Rede – wie Sie das machen, einfach frei zu sprechen» eher un-gemeint; denn als er beim sogenannten «Leichen-Schmaus» leider neben mir saß, erzählte er, daß er ja große Sorge gehabt habe, daß ER sprechen müsse: aus dem Unseldschen übersetzt: «Wieso SIE – wieso nicht ICH?»
    Literaten sind noch am Grab/über das Grab hinaus neidig. Mußte an Hans Mayers Wut denken, weil nicht ER bei Blochs Beerdigung zu sprechen gebeten war (sondern der daraufhin Jahre hindurch geschnittene Jens); kam mir wohl in den Sinn, weil Brasch nun direkt neben Hans Mayer liegt. Otto Sander: «Keine schlechte Lage, neben Hans Mayer zu liegen.» Auf mein «Es schmückt wohl Mayer eher, neben Thomas Brasch zu liegen» kam ein bühnen-gewohntes «touché». Spielerei, Eifersüchtelei – aber da ist doch einer tot?
    Wie wenig das interessiert und wie sehr sentimental ich offenbar bin, ich, den es die ganze «Ganymed»-Party hindurch im Halse würgte, zeigte der späte Abend.
    Anruf Hochhuth. Nachdem ich mich gemeldet hatte, sagte er: «Was ist mit dir, du hast ja Berge von Asche auf deiner Stimme.» Ich: «Ich komme eben von der Beerdigung von Thomas Brasch.» «Ach ja, ist der tot, du kanntest ihn wohl gut. Was, du hast am Grab gesprochen? Du mußt auch an MEINEM Grab sprechen, übrigens …» Und dann ging das Hochhuthsche Holterdiepolter los … ein Gedicht, und der SPIEGEL habe es abgelehnt zu drucken, dann, versprochen, es als Leserbrief, und dann auch dort nicht zu drucken, und nun müsse er SOFORT, am besten heut’ nacht noch, Augstein anrufen, und ich müsse ihm die Nummer geben, und er würde eine Erzählung schreiben «DER SPIEGEL und …»: Die Intervention der «Euler», die sich den Hörer griff, um mir zu sagen, wie widerlich sie seine «Ranmacherei» fände – was sie natürlich IHM sagen wollte, der daneben saß, indem sie es MIR sagte – – – – brachte ihn kein bißchen in Verlegenheit, auch mein «Ein Gedicht ist doch vor allem FORM, kein Leitartikel» warf ihn nicht aus der Bahn seines: «Aber im SPIEGEL hat man 2

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