Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Das war’s – – – KEINE SILBE über diesen Brief, der ja sogar mit einer zu beantwortenden Bitte endet. Ach, wie gut, daß ich die Leute nicht brauche, finanziell – quasi – unabhängig und mit eigener Arbeit beschäftigt bin.
Lustiger Klatsch. In einem Gang auf der Messe umarmte mich plötzlich ein dicklicher älterer Herr, graumeliert, und ich wußte nur das obligate «Wie geht’s denn?», weil ich nicht wußte, wer war’s. Es war, fiel mir hinterher ein, Cohn-Bendit. Der seinerzeit unter MEINEM Namen versteckt in irgendeinem Provinzhotel an dem Buch für rororo-aktuell schrieb; wenn ich anrief, war das so: «Hier Dr. Raddatz vom Rowohlt Verlag – – – – ich möchte bitte Herrn Raddatz sprechen.»
Fiel mir ein, als ich dieser Tage las, Soraya ist in ihrem 400qm-Luxus-Apartment in Paris gestorben: Sie «versteckte» sich vor vielen Jahren mit ihrem Liebhaber Maximilian Schell im Kampener Hotel Waltershof unter meinem Namen; wenn ich anrief, ging das so: «Hier Dr. Raddatz vom Rowohlt Verlag – kann ich bitte Herrn oder Frau Raddatz sprechen?» Gleichsam als Revanche besuchten mich dann die beiden nach meinem Autounfall (auf der Rase-Fahrt zu Eckfried im Porsche überschlagen) im Krankenhaus in Oldesloe; und weil sie damals so berühmt wie später die Dame Lady Di, stand das halbe Krankenhaus Kopf, ich bekam die beste Sonderbehandlung, die denkbar.
So holt einen die Vergangenheit ein. Das ist nicht nur ein alberner Spruch. Nächste Woche halte ich die Laudatio für die WELT-Literaturpreisträgerin Pat Barker (gute Autorin) auf dringlichste Bitte der Herausgeberin der WELT DER LITERATUR: «Sie sind unser Traumkandidat.» Es gibt also noch Erfolge im Leben …
11. November
Thomas Brasch ist tot. Der Freund, der wunderbare Schriftsteller, der Vertraute sogar – mit wohl keinem meiner anderen Künstlerfreunde war ich so «intim», manchmal in sentimentaler Stimmung, manchmal von ihm frivolisiert; und auch er hat wohl kaum einem so viel von sich anvertraut, Intimstes – also sehr Persönliches, aber eben auch Intimes seiner Arbeit (als sei das zu trennen: Eben das war ja das Funkelnd-Erotisch-Geistige an ihm, daß er es NICHT trennen mochte und konnte) – – – und eben daran ist er zugrunde gegangen, weil er seine extrem dünne Haut über diese Welt spannte, und die zerriß mit der; so rabaukig er sich geben mochte und konnte.
Wenige Tage vor seinem Tod – als spräche ich bereits sein Kaddisch – erzählte ich spätnachts meinen Gästen hier nach der Lesung im Warburg-Haus nebenan von ihm; wie die mir 1 – 2 Tage später sagten, auf eindringliche Weise das zerstörte Portrait eines Freundes zeichnend. Am Samstag derselben Woche war er tot, die Thalbach hatte seine Hand gehalten (wie sie das, metaphorisch, in ihrer beiden Leben getan hatte). Und die Thalbach sagte mir in ausrinnender Stimme am Telefon: «Eine Welt ohne Thomas ist mir nicht vorstellbar», dann hörte ich Thalbachsches «Ikkk komme jleich», und sie antwortete auf meine Frage: «Von wo sprechen Sie denn?» – «Na, aus’m Ateljeh.» Sie filmte. Eben hatte sie geweint, dann ging sie unter die Scheinwerfer und mußte vielleicht mit rollenden Augen sagen: «Wilhelm, ich liebe dich» und einen Schauspieler küssen. Quelle profession .
Dieser Tod hat mir ein Loch in die Brust geschossen, seltsame Sentimentalität, aber ich BESTAND in der eher desinteressierten ZEITredaktion darauf, daß man mir Platz – wenig – für einen Nachruf gab. Wozu? Was hat ER davon? Wozu tut man so was? (So, wie ich auf Bitten der Thalbach nach Berlin zur Beerdigung rasen werde, um dort «ein paar Worte am Grab» zu sprechen. Ist das töricht, atavistisch, oder was IST es?)
Am Mittwoch nach München zu zwei Nichtigkeiten und einer Wichtigkeit: Noch mal Lesung aus dem Bennbuch. Abendessen mit Enzensberger, der schon ein schillernder Mensch ist, von federnder Intelligenz und zugleich einem «Laßt mich doch alle los»-Grundzug, der auch was Anämisches hat. Mit derselben «Leben: niederer Wahn»-Haltung, mit der er einen fragt: «Jo, SIE können ja gewiß auch Auto fahren – gar Ski laufen oder Tennis spielen?» (wodurch man also ein mikroskopiertes Wesen ganz da unten wird, schlimmer als ein Mallorca-Urlauber, ein winzig da unten krauchendes Wesen, das der erhabene Hans Magnus Enzensberger knapp erkennen kann – – –), mit derselben Haltung des Erwählten kann er auch durch die Literatur galoppieren. Nachmachen müßte man können dazu den
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