Tagebücher
Mund in die Breite hör einmal. Du bist wegen dieser Sache zu mir gekommen um Dich mit mir zu beraten. Das ehrt Dich ohne Zweifel. Aber es ist nichts, es ist ärger als nichts, wenn Du mir jetzt nicht die volle Wahrheit sagst. Ich will nicht Dinge aufrühren die nicht hierhergehören. Seit dem Tode unserer teueren Mutter sind gewisse unschöne Dinge vorgegangen. Vielleicht kommt auch für sie die Zeit und vielleicht kommt sie früher als wir denken. Im Geschäft entgeht mir manches, es wird mir vielleicht nicht verborgen - ich will jetzt gar nicht die Annahme machen daß es mir verborgen wird - ich bin nicht mehr kräftig genug, mein Gedächtnis läßt nach, ich habe nicht mehr den Blick für alle die vielen Sachen. Das ist erstens der Ablauf der Natur und zweitens hat mich der Tod unseres Mütterchens viel mehr niedergeschlagen als Dich. - Aber weil wir gerade bei dieser Sache halten, bei diesem Briefe, so bitte ich Dich Georg täusche mich nicht. Es ist eine Kleinigkeit, es ist nicht des Athems wert, also täusche mich nicht.
Hast Du wirklich diesen Freund in Petersburg?
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Georg stand verlegen auf. Lassen wir meine Freunde sein. Tausend Freunde ersetzen mir nicht meinen Vater. Weißt Du was ich glaube? Du schonst Dich nicht genug. Aber das Alter verlangt seine Rechte. Du bist mir im Geschäft unentbehrlich, das weißt Du ja sehr genau, aber wenn das Geschäft Deine Gesundheit bedrohen sollte, sperre ich es noch morgen für immer. Das geht nicht.
Wir müssen da eine andere Lebensweise für Dich einführen. Aber von Grund aus. Du sitzt hier im Dunkel und im Wohnzimmer hättest Du schönes Licht. Du nippst vom Frühstück statt Dich ordentlich zu stärken. Du sitzt bei geschlossenem Fenster und die Luft würde Dir so gut tun. Nein mein Vater. Ich werde den Arzt holen und seinen Vorschriften werden wir folgen. Die Zimmer werden wir wechseln, Du wirst ins Vorderzimmer ziehn, ich hierher. Es wird keine Veränderung für Dich sein, alles wird mit übertragen werden. Aber das alles hat Zeit, jetzt lege Dich noch ein wenig ins Bett, Du brauchst unbedingt Ruhe. Komm ich werde Dir beim Ausziehn helfen, Du wirst sehn, ich kann es. Oder willst Du gleich ins Vorderzimmer gehn, dann legst Du Dich vorläufig in mein Bett. Das wäre brigens sehr vernünftig.
Georg stand knapp neben seinem Vater, der den Kopf mit dem struppigen weißen Haar auf die Brust hatte sinken lassen.
"Georg" sagte der Vater leise ohne Bewegung.
Georg kniete sofort neben dem Vater nieder, er sah die Pupillen in dem müden Gesicht des Vaters übergroß in den Winkeln der Augen auf sich gerichtet.
Du hast keinen Freund in Petersburg. Du bist immer ein Spaßmacher gewesen und hast Dich leider auch mir gegenüber nicht zurückgehalten. Wie solltest Du denn gerade dort einen Freund haben.
Das kann ich gar nicht glauben.
"Denk doch nur einmal nach Vater" sagte Georg, hob den Vater vom Sessel und zog ihm wie er nun doch recht schwach dastand, den Schlafrock aus. Jetzt wird es bald drei Jahre her sein, da war ja mein Freund bei uns zu Besuch. Ich erinnere mich noch, daß Du ihn nicht besonders gern hattest.
Wenigstens zweimal habe ich ihn vor Dir verläugnet, trotzdem er gerade bei mir im Zimmer saß.
Ich konnte ja Deine Abneigung gegen ihn ganz gut verstehn, mein Freund hat seine Eigentümlichkeiten. Aber dann hast Du Dich doch wieder auch ganz gut mit ihm unterhalten. Ich war damals noch so stolz darauf, daß Du ihm zuhörtest, nicktest und fragtest. Wenn Du nachdenkst, mußt Du Dich erinnern. Er erzählte damals unglaubliche Geschichten von der russischen Revolution. Wie er z. B. auf einer Geschäftsreise in Kiew bei einem Tumult einen armenischen Geistlichen auf einem Balkon gesehen hatte, der sich ein breites Blutkreuz in die flache Hand schnitt, diese Hand erhob und die Menge anrief. Du hast ja selbst diese Geschichte hie und da wiedererzählt.
Währenddessen war es Georg gelungen, den Vater wieder niederzusetzen und ihm die Trikothosen, die er über den weißen Unterhosen trug, sowie die Socken vorsichtig auszuziehn. Beim Anblick der nicht besonders reinen Wäsche, machte er sich Vorwürfe, den Vater vernachlässigt zu haben. Es wäre sicherlich auch seine Pflicht gewesen über den Wäschewechsel seines Vaters zu wachen. Er hatte mit seiner Braut noch nicht ausdrücklich darüber gesprochen, wie sie die Zukunft des Vaters einrichten wollten, denn sie hatten stillschweigend vorausgesetzt, daß der Vater allein in der alten Wohnung bleiben
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