Tagebücher
mehr von hier fortkommen. " Sie sagten es nicht etwa um mich traurig zu machen, sondern sie hatten das Bestreben, wenn es nur möglich, die Wahrheit rund herauszusagen. Sie taten das meistens unter einem eigentümlichen Glotzen der Augen.
Einmal im Monat, aber immer zu verschiedenen Zeiten kam ein Inspektor, um mein Vormerkbuch zu überprüfen, das eingenommene Geld mir abzunehmen und - dies aber nicht immer - den Lohn mir auszuzahlen. Seine Ankunft wurde mir immer einen Tag vorher von den Leuten angezeigt, die ihn in der letzten Station abgesetzt hatten. Diese Anzeige hielten sie für die größte Wohltat, die sie mir erweisen konnten, trotzdem ich natürlich jeden Tag alles in Ordnung hatte. Es war auch (Fortsetzung des Textes in den Konvoluten)
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Heft 8
2 Mai 1913
Es ist sehr notwendig geworden wieder ein Tagebuch zu führen. Mein unsicherer Kopf, Felice, der Verfall im Bureau, die körperliche Unmöglichkeit zu schreiben und das innere Bedürfnis danach.
Valli geht hinter dem Schwager, der morgen zur Waffenübung nach Tschotkov einrückt, aus unserer Tür hinaus. Merkwürdig die in diesem Ihm-Folgen liegende Anerkennung der Ehe als Einrichtung, mit der man sich bis in den Grund hinein abgefunden hat.
Die Geschichte der Gärtnerstochter, die mich vorgestern in der Arbeit unterbrach. Ich, der ich durch die Arbeit meine Neurasthenie heilen will, muß hören, daß der Bruder des Fräulein, er hat Jan geheißen und war der eigentliche Gärtner und voraussichtlicher Nachfolger des alten Dvorsky, ja sogar schon Besitzer des Blumengartens sich vor 2 Monaten im Alter von 28 Jahren aus Melancholie vergiftet hat. Im Sommer war ihm verhältnismäßig wohl trotz seiner einsiedlerischen Natur, da er wenigstens mit den Kunden verkehren mußte, im Winter dagegen war er ganz verschlossen. Seine Geliebte war eine Beamtin - urednice - ein gleichfalls melancholisches Mädchen. Sie giengen zusammen oft auf den Friedhof.
Der riesige Menasse bei der Jargonvorstellung. Irgendetwas Zauberhaftes das mich bei seinen Bewegungen im Zusammenklang mit der Musik ergriff. Ich habe es vergessen.
Mein dummes Lachen, als ich heute der Mutter sagte, daß ich Pfingsten nach Berlin fahre. "Warum lachst Du?" sagte die Mutter (unter einigen anderen Bemerkungen, darunter "Drum prüfe, wer sich ewig bindet" die ich aber alle abwehrte mit Bemerkungen wie "Es ist nichts u.s.w.") "Aus Verlegenheit" sagte ich und war froh einmal etwas Wahres in dieser Sache gesagt zu haben.
Die Bailly gestern getroffen. Ihre Ruhe, Zufriedenheit Unbefangenheit und Klarheit, trotzdem sich in den letzten zwei Jahren ihr Übergang zur alten Frau vollzogen hat, diese schon damals lästige Fülle bald die Grenze steriler Fettleibigkeit erreicht haben wird, in den Gang eine Art Sich-Wälzens und Sich-Schiebens mit Vorstoßen oder besser Vortragen des Bauches gekommen ist und am Kinn
- beim kurzen Anblick nur am Kinn - Barthaare sich aus dem frühern Flaume ringeln.
3 Mai (1913)
Die schreckliche Unsicherheit meiner innern Existenz.
Curator
Wie ich die Weste aufknöpfe, um dem Hr. B. meinen Ausschlag zu zeigen. Wie ich ihn in ein Nebenzimmer winke.
Der Aussätzige und seine Frau. Wie sich ihr Hintere, sie liegt im Bett auf dem Bauch, immer wieder mit allen Geschwüren erhebt, trotzdem ein Gast da ist. Wie der Mann sie immer anschreit, daß sie zugedeckt liegen bleiben soll.
Der Ehemann ist von einem Pfahl - man weiß nicht. von wo der kam - von hinten getroffen niedergeworfen und durchbohrt worden. Auf dem Boden liegend klagt er mit erhobenem Kopf und 178
ausgebreiteten Armen. Später kann er sich auch schon für einen Augenblick schwankend erheben.
Er weiß nichts anderes zu erzählen, als wie er getroffen wurde und zeigt die beiläufige Richtung, aus der seiner Meinung nach der Pfahl gekommen ist. Diese immer gleichen Erzählungen ermüden schon die Ehefrau, zumal der Mann immer wieder eine andere Richtung zeigt.
4 (Mai 1913) Immerfort die Vorstellung eines breiten Selchermessers das eiligst und mit mechanischer Regelmäßigkeit von der Seite her in mich hineinfährt und ganz dünne Querschnitte losschneidet, die bei der schnellen Arbeit fast eingerollt davonfliegen.
An einem frühen Morgen, die Gassen waren noch leer weit und breit, öffnete ein Mann, er war bloßfüßig und nur mit Nachthemd und Hose bekleidet, das Tor eines großen Miethauses in der Hauptstraße. Er hielt beide Türflügel fest und atmete tief. "Du Jammer, Du verfluchter
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