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Tagebücher

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Titel: Tagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Verhältnisse.

    Die von jedem selbst dem zugänglichsten und anschmiegsamsten Menschen hie und da wenn auch nur gefühlsmäßig angezweifelte Einheitlichkeit der Menschheit zeigt sich andererseits auch jedem, oder scheint sich zu zeigen in der vollständigen immer wieder aufzufindenden Gemeinsamkeit gesammt- und einzelmenschlicher Entwicklung. Selbst in den verschlossensten Gefühlen des Einzelnen.

    Die Furcht vor Narrheit. Narrheit in jeden geradeaus strebenden, alles andere vergessen machendem Gefühl sehn. Was ist dann die Nicht-Narrheit? Nicht-Narrheit ist vor der Schwelle, zur Seite des Einganges bettlerhaft stehn, verwesen und umstürzen. Aber P. und O. sind doch widerliche Narren. Es muß Narrheiten geben, die größer sind als ihre Träger. Dieses Sich-spannen der kleinen Narren in ihrer großen Narrheit ist vielleicht das Widerliche. Aber erschien den Pharisäern Christus nicht in gleichem Zustande?

    Wunderbare, gänzlich widerspruchsvolle Vorstellung daß einer, der z. B. um 3 Uhr in der Nacht gestorben ist gleich darauf etwa in der Morgendämmerung in ein höheres Leben eingeht. Welche Unvereinbarkeit liegt zwischen dem sichtbar Menschlichen und allem andern! Wie folgt aus einem Geheimnis immer ein größeres! Im ersten Augenblick geht dem menschlichen Rechner der Atem aus. Eigentlich müßte man sich fürchten aus dem Haus zu treten

    5 XII 13 Wie ich gegen meine Mutter wüte! Ich muß nur mit ihr zu reden anfangen, schon bin ich gereizt, schreie fast.

    O. leidet doch und ich glaube nicht daß sie leidet leiden kann, glaube es gegen meine bessere Einsicht nicht, glaube es nicht, um ihr nicht beistehn zu müssen, was ich nicht könnte, denn ich bin auch gegen sie gereizt.

    An F. sehe ich äußerlich, wenigstens manchmal, nur einige zählbare kleine Einzelheiten. Dadurch wird ihr Bild so klar, rein, ursprünglich, umrissen und luftig zugleich.

    8. XII 13. Konstruktionen in Weiß' Roman. Die Kraft sie zu beseitigen, die Pflicht, das zu tun. Ich leugne fast die Erfahrungen. Ich will Ruhe, Schritt für Schritt oder Lauf, aber nicht ausgerechnete Sprünge von Heuschrecken

    9 XII 13 Weiß "Galeere" Schwächung der Wirkung wenn der Ablauf der Geschichte beginnt. Die Welt ist überwunden und wir haben mit offenen Augen zugesehn. Also können wir uns ruhig umdrehn und weiterleben.

    Haß gegenüber aktiver Selbstbeobachtung. Seelendeutungen, wie: Gestern war ich so undzwar deshalb, heute bin ich so und deshalb. Es ist nicht wahr, nicht deshalb und nicht deshalb und darum auch nicht so und so. Sich ruhig ertragen, ohne voreilig zu sein, so leben wie man muß, nicht sich hündisch umlaufen.

    194
    Ich war im Gebüsch eingeschlafen. Ein Lärm weckte mich. Ich fand in meinen Händen ein Buch, in dem ich früher gelesen hatte. Ich warf es weg und sprang auf. Es war kurz nach Mittag, vor der Anhöhe, auf der ich war, breitete sich eine große Tiefebene aus mit Dörfern und Teichen und gleichförmigem hohen schilfartigem Buschwerk zwischen ihnen. Ich legte die Hände in die Hüften, durchsuchte alles mit den Augen und horchte dabei auf den Lärm

    10 XII (1913) Die Entdeckungen haben sich dem Menschen aufgedrängt.

    Das lachende, jungenhafte, listige, aufgelöste, Gesicht des Oberinspektors, das ich noch nie an ihm gesehen hatte und nur heute in einem Augenblick bemerkte, als ich eine Arbeit des Direktors ihm vorlas und zufällig von ihr aufsah. Er steckte dabei auch mit einem Ruck der Schultern die rechte Hand in die Hosentasche, als wäre er ein anderer Mensch.

    Niemals ist es möglich alle Umstände zu bemerken und zu beurteilen, die auf die Stimmung eines Augenblicks einwirken und sogar in ihr wirken und endlich in der Beurteilung wirken, darum ist es falsch zu sagen, gestern fühlte ich mich gefestigt, heute bin ich verzweifelt. Solche Unterscheidungen beweisen nur, daß man Lust hat, sich zu beeinflussen und möglichst abgesondert von sich, versteckt hinter Vorurteilen und Phantasien zeitweilig ein künstliches Leben aufzuführen, so wie sich einmal einer in einem Winkel der Schenke, von einem kleinen Schnapsglas genügend versteckt, ausschließlich mit sich allein mit lauter falschen unbeweisbaren Vorstellungen und Träumen unterhält.

    Gegen Mitternacht stieg die Treppe zu der kleinen Singspielhalle ein junger Mann in einem engen mattgrauen karrierten leicht überschneiten Überzieher hinab. Er bezahlte am Kassentisch, hinter dem ein hindämmerndes Fräulein aufschreckte und ihn mit großen schwarzen

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