Tagebücher
die durch ihr sich öffnendes, über die hohe Stirn bis zu den Haaren sich ausbreitendes Gesicht in sie dringt, das Sichselbstgenügen beim Einzelgesang ohne Hinzunahme neuer Mittel, das Sichaufrichten beim Widerstand, das den Zuschauer zwingt, sich um ihren ganzen Körper zu kümmern; und nicht viel mehr. Aber da ist die Wahrheit des Ganzen und infolgedessen die Überzeugung daß ihr nicht die geringste ihrer Wirkungen genommen werden kann.
Das Mitleid, das wir mit diesen Schauspielern haben, die so gut sind und nichts verdienen und auch sonst bei weitem nicht genug Dank und Ruhm bekommen, ist eigentlich nur das Mitleid über das traurige Schicksal vieler edler Bestrebungen und vor allem der unseren. Darum ist es auch so unverhältnismäßig stark, weil es sich äußerlich an fremde Leute hält und in Wirklichkeit zu uns gehört. Trotzdem ist es aber mit den Schauspielern immerhin so eng verbunden, daß ich es nicht einmal jetzt von ihnen lösen kann. Weil ich es erkenne, bindet es sich zum Trotz noch mehr an sie.
Die auffallende Glätte der Wangen der Frau Tschissik neben ihrem muskulösen Mund. Ihr etwas unförmiges kleines Mädchen
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Mit Löwy und meiner Schwester 3 Stunden spazieren.
23. (Oktober 1911) Die Schauspieler überzeugen mich durch ihre Gegenwart immer wieder zu meinem Schrecken, daß das meiste was ich bisher ber sie aufgeschrieben habe, falsch ist. Es ist falsch, weil ich mit gleichbleibender Liebe (erst jetzt da ich es aufschreibe, wird auch dieses falsch) aber wechselnder Kraft über sie schreibe und diese wechselnde Kraft nicht laut und richtig an die wirklichen Schauspieler schlägt sondern dumpf sich an dieser Liebe verliert, die mit der Kraft niemals zufrieden sein wird und deshalb dadurch, daß sie sie aufhält, die Schauspieler zu schützen meint.
Streit zwischen Tschissik und Löwy. T.: Edelstatt ist der größte jüdische Schreiber. Er ist erhaben.
Rosenfeld ist natürlich auch ein großer Schreiber aber nicht der erste. Löwy: Tsch. ist Socialist und weil Edelstatt social. Gedichte macht, er ist Redakteur einer soc. jüdischen Zeitung in London, deshalb hält ihn Tsch. für den größten. Aber wer ist Edelstatt, seine Partei kennt ihn, sonst niemand, aber Rosenfeld kennt die Welt. - Tsch.: Auf die Anerkennung kommt es nicht an. Alles von Edelstatt ist erhaben. - L.: Ich kenne ihn ja auch genau. Der Selbstmörder z. B. ist sehr gut. -
Tsch.: Was hilft der Streit? Einigen werden wir uns nicht. Ich werde meine Meinung bis morgen sagen und Du auch. - L.: Ich bis bermorgen.
Goldfaden, verheirathet, Verschwender, auch in großer Noth. An 100 Stücke. Gestohlene liturg.
Melodien volkstümlich gemacht. Das ganze Volk singt sie. Der Schneider bei seiner Arbeit (wird nachgemacht) das Dienstmädchen
U. S.W.
Bei so kleinem Raum fürs Anziehn muß man wie Tschissik sagt in Streit kommen. Man kommt aufgeregt von der Scene, jeder hält sich für den größten Schauspieler, tritt da einer dem andern z.
B. auf den Fuß, was nicht zu vermeiden ist, so ist nicht nur ein Streit fertig, sondern ein großer Kampf. Ja in Warschau, da waren 75 kleine Einzelgarderoben, jede beleuchtet Um 6 Uhr traf ich die Schauspieler in ihrem Kaffeehaus um zwei Tische herum, nach den 2
feindlichen Gruppen geordnet, sitzen. Auf dem Tisch der Tsch. Gruppe war ein Buch von Perez. L.
hatte es eben geschlossen und stand auf um mit mir wegzugehn.
Bis 20 Jahren war L. ein bocher, der studierte und seines wohlhabenden Vaters Geld ausgab. Es war da eine Gesellschaft gleichaltriger, junger Leute, die gerade am Samstag in einem abgesperrten Lokal zusammenkamen und im Kaftan rauchten und sonst gegen die Feiertagsgebote sündigten.
"Der große Adler" der berühmteste jiddische Schauspieler aus New York, der Millionär ist, für den Gordon "den wilden Menschen" geschrieben hat und den L. in Karlsbad gebeten hat, ja nicht zur Vorstellung zu kommen, der er vor ihm auf ihrer schlecht ausgestatteten Bühne zu spielen nicht den Muth hätte. - Nur Dekorationen, nicht diese elende Bühne, auf der man sich nicht bewegen kann.
Wie werden wir den wilden Menschen spielen! Dort braucht man ein Divan. Im Krystallspalast Leipzig war es großartig. Fenster, die man aufmachen konnte, die Sonne schien herein, man brauchte im Stück einen Thron, gut da war ein Thron, ich gieng durch die Menge zu ihm hin und war wirklich ein König. Da ist viel leichter zu spielen. Hier beirrt einen alles.
24. (Oktober 1911) Die Mutter arbeitet
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