Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
Ahornstamm dick genug. Das Auto rollte weiter, leider konnte sie nicht sehen, wer da drin saß. Es war auf jeden Fall ein schwarzer Renault Scenic. Verdammt, sah sie jetzt weiße Mäuse oder wurde sie tatsächlich verfolgt? Sie schlich im Schatten des Ahorns zurück in die Straße, aus der sie gekommen war und versteckte sich zwischen zwei Fahrzeugen.
Mit zitternden Händen wählte sie die Nummer von Lady Kaa. Nach dreimaligem Klingeln meldete sie sich, ebenfalls mit einem bellenden ‚Ja‘. Das hatte Hüsy wohl von ihr. Judith flüsterte ihren Namen.
„Wer ist da?“, fragte sie. „Ach Judith“, sagte sie, sie musste wohl mit einem Blick auf ihr Display gesehen haben, wer anrief.
„Ich kann nicht so laut reden, ich bin auf der Straße, und ich glaube, ich werde verfolgt“, sagte Judith.
„Wo sind Sie?“, fragte Lady Kaa.
„In Juan-les-Pins“, sagte Judith. „Carlotta ist tot, glaube ich.“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. Hatte sie Judith verstanden?
Nach einer Weile fragte Alice: „Was ist mit Nils?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn neben Carlotta gefunden, die wie tot auf der Erde lag. Er saß einfach neben ihr. Ich bin abgehauen. Er hat mich verfolgt. Dann kam die Polizei.“
„Langsam, Mädchen, langsam. Noch mal von vorn, alte Frau ist kein Lear-Jet“, sagte Lady Kaa.
Judith erzählte ihr so detailliert wie möglich, was in der letzten Stunde geschehen war, bzw. was sie gesehen hatte.
„Was soll ich jetzt tun?“, fragte sie. Schweigen. Man hörte Alice denken.
„Gut, dass Sie mich angerufen haben, Judith. Also, Sie gehen jetzt auf keinen Fall, hören Sie, auf gar keinen Fall zurück zum Haus. Sie müssen so schnell wie möglich weg aus Frankreich. Aber nicht über den Bahnhof von Juan-les-Pins und auch nicht mit dem Flieger aus Nizza. Wie viel Geld haben Sie in der Tasche?“, fragte sie.
„Alles, was Sie mir gegeben haben, ich habe noch nichts ausgegeben.“
„Gut“, sagte sie, „das wird reichen. Sie müssen versuchen, über die italienische Grenze zu kommen. Moment, ich habe eine Idee.“
Branchenklatsch
War Carlotta wirklich tot, fragte sich Hüseyin, als er aufgelegt hatte. Er versuchte sich an seine ehemalige Kommilitonin zu erinnern. Carlotta gehörte zu diesen durchscheinenden Geschöpfen, die ihm persönlich einfach auf die Nerven gingen. Sie weckte keinen Beschützerinstinkt in ihm, ganz anders als zum Beispiel Judith, um die er sich gerade ernsthaft Sorgen machte.
Judith gehörte zu den Frauen, die versuchten, mit ihren Problemen allein fertig zu werden, eine Eigenschaft, die er sehr schätzte. Carlotta schaute immer so, als ob sie die Welt für all ihre Probleme verantwortlich machen würde, welche auch immer das sein mochten. Er kannte sie nicht nah genug, war nie neugierig auf sie gewesen, um zu wissen, welche Probleme das waren. Er versuchte sich zu erinnern, ob er sie hatte lächeln sehen. Hatte er? Er konnte sich ihr Gesicht nicht einmal mit einem Lächeln vorstellen. Ihre Bilder sprachen für sich. Sie strahlten – wieder überlegte er, wie er das nennen sollte – Einsamkeit aus. Oder war es Gereiztheit? Was war das denn für ein Wort? Gereiztheit.
Hüseyin war von Natur aus misstrauisch gegenüber ach so sensiblen Künstlernaturen. Die meisten waren einfach nur empfindlich. Was für ihn einen himmelweiten Unterschied machte. Empfindlich und ich-bezogen. Das war das Problem dieser ganzen Branche, hier tummelten sich Hunderttausende von Diven. Wenn sie erfolgreich waren, dann waren sie unausstehlich, und wenn sie gar keinen Erfolg hatten, waren sie noch unausstehlicher. Dabei war ihm klar, dass einige Kollegen sich gern so gaben, weil sie glaubten, dass das die Welt von ihnen erwarten würde. „Sei doch nicht so schrecklich unprätentiös“, hatte eine Freundin mal zu ihm gesagt.
Bei Alice hatte er das Gegenteil gelernt. Sie hatte ihn getestet und erst dann für gut befunden, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er hart im Nehmen war. Hüseyin musste immer noch lächeln, wenn er an die erste Kaldenbergsche Prüfung dachte. Memmen hatten bei ihr keine Chance.
„Talent, Schätzchen, reicht nicht“, hatte sie gesagt. „Du musst hart genug sein, um in diesem Haifischmeer mitschwimmen zu können.“ Alice dachte nie in kleinen Teichen, bei ihr musste es schon das Meer sein. Sie hatte mit dieser Einstellung die Welt erobert, und wenn er Bernie Goldsmith glauben sollte, dann hatte sie auch ihm zu Weltruhm verholfen.
Carlotta hätte so einen
Weitere Kostenlose Bücher