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Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Titel: Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Tag miteinander.
    Linda streckte sich auf dem schwarzen Ledersessel aus. Er war unbequem. Mies van der Rohe hin oder her. Wenn sie nur nicht so nötig auf die Toilette gemusst hätte.
    „ Lindi, es ist egal, du kannst ruhig in die Ecke machen, ich gucke auch weg. Glaubst du, dass der Marmorboden davon kaputt geht?“
    „Du hast Recht, Siggi, aber nicht schmulen!“, sagte Linda laut. Sie ging in eine Ecke und hockte sich hin. Es war ihr sogar vor ihr selbst peinlich. Du bist eine komische, alte Frau, Linda, dachte sie, du wirst hier verrecken und schämst dich vor dir selbst, weil du deine Notdurft verrichten musst. Das Schlimmste für sie war, dass sie kein Papier hatte, um sich abzuputzen. Obwohl es doch eigentlich egal war. Wie lange war sie schon hier drin? Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, dass sie bereits über sechzehn Stunden hier ausgeharrt hatte. Die würden nicht wiederkommen, soviel stand fest.
    Aber wie sollte sie hier rauskommen? Es machte keinen Sinn, irgendeine Art von Lärm zu machen, die Wände waren aus Stahl.
    Niemand von den Menschen, die heute in der Großgörschenstraße lebten, wusste von dem alten Luftschutzkeller. Halt, das stimmte nicht, die alte Frau Lehmann aus der ersten Etage musste es wissen. Aber die war schon seit Jahren fast taub. Und der alte Zugang war zugemauert und mit einer Stahlwand verkleidet. Linda konnte hier schreien, toben, die Sessel an die Decke donnern, es würde sie niemand hören.
    Was war mit der Klimaanlage, fragte sie sich, wenn hier frische Luft reinkommt, müsste doch auch Lärm hinauskommen. Sie suchte den Ausgang der Klimaanlage. Aber die Zuluft war gleichmäßig über den Raum verteilt, es gab unter der Stahldecke offensichtlich ein Verteilungssystem, das durch kleine Luftschlitze die frische Luft im gesamten Raum verteilte.
    Roch es nicht irgendwie komisch?, fragte sie sich. Quatsch, Linda, das bildest du dir nur ein, sagte sie sich und setzte sich wieder auf den Bauhausstuhl. Sie spürte keinen Hunger, eher Durst. Und sie hatte rasende Kopfschmerzen. Sie schloss die Augen, vielleicht würde sie ein wenig schlafen können. Aber die Geister der Vergangenheit kamen sofort wieder.
    Es passierte an einem grauen Novembertag 1975. Linda hatte eine komplizierte Operation in der Uniklinik, sie kämpfte um das Gesicht einer Frau, das mehr als zur Hälfte verbrannt war. Man teilte ihr mit, dass sie umgehend ihren Bruder anrufen solle. Noch heute wunderte sich Linda, dass sie es geschafft hatte, der Frau wieder ein halbwegs ansehnliches Gesicht zu geben, so sehr zitterte sie nach dieser Nachricht. Sofort nach der Operation stürmte Linda zum Telefon. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Vater bereits gestorben. Er hatte sich mit seinem MG auf dem Weg zu ihrem Haus in Capri überschlagen.
    Als sie die Asche ihres Vaters im Golf von Neapel verstreuten, nahm ihr großer Bruder zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ihre Hand, so wie damals auf der Flucht aus dem Memelland, in das sie mit ihrer Mutter evakuiert worden waren, um den Bombennächten in Berlin zu entkommen.
    Und so waren sie dann ganz allein – Siggi und Linda. Beide erbten zu gleichen Teilen das gesamte, beträchtliche Vermögen der Familie Sprengler, angehäuft und vermehrt seit Generationen von offensichtlich schlauen Kaufleuten. Angelegt von der Familie ihrer Mutter in Immobilien in den aufregendsten Ecken der Welt, in Bildern, die bereits der Großvater und der Urgroßvater ihres Vaters gesammelt hatten, in einer florierenden Klinik mit Weltruf.
    Die Bilder hatte ihr Vater zum Teil eingetauscht gegen den Anteil an der Klinik von Richard Braun, seinem besten Freund und Kompagnon. Ihr Vater hatte diese Geschichte und seine Suche nach Brauns Witwe Nora wieder und wieder erzählt, sie interessierte Linda nicht besonders, die Klinik war ihr Objekt der Begierde. Ihr Vater hatte als Plastischer Chirurg Weltruhm genossen. Alles, was Linda wollte, war, diesem Ruhm nicht nur gerecht zu werden, sondern den Ruf ihrer Klinik weiter zu verbreiten.
    Selbstverständlich kündigte sie umgehend ihren Job in Heidelberg und zog nach Berlin in die Remise. Jetzt endlich durfte auch Linda in ihrer Klinik arbeiten. Ihr Lebenstraum war in Erfüllung gegangen. Siggi und Linda konnten gemeinsam leben und gemeinsam arbeiten. Und genau das taten sie. Sie nahmen ihr Leben von früher wieder auf und lebten wie Mann und Frau. Sie habilitierten gemeinsam, sie verreisten gemeinsam, sie operierten gemeinsam. Siggi war ein begnadeter

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