Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
herauskommen könnte. Es war schließlich nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie in einer unangenehmen, lebensbedrohlichen Situation war.
Siggi hatte ihr einen Wattebausch mit Äther unter die Nase gehalten. Sie wusste bis heute nicht, was in der nächsten halben Stunde tatsächlich passierte, als sie zu sich kam, lag sie immer noch auf diesem provisorischen Stuhl. Irgendetwas zog kräftig in ihrem Unterleib und ihr war kotzübel. Siggi schaute ihr in die Augen.
„ Alles gut gegangen, es ist weg“, sagte er.
„ Und jetzt?“, fragte sie.
„ Jetzt bleibst du liegen, bis die Blutung gestillt ist“, sagte er.
„ So?“, fragte Linda.
„ Hm, ich versuche mal, die Kisten wegzunehmen, das könnte jetzt ein bisschen weh tun“, sagte er. Ein bisschen war maßlos untertrieben, aber immerhin schaffte er es, sie in eine normale Liegeposition zu bringen. Unter ihr fühlte sich alles nass an.
„ Du blutest im Moment stark“, sagte Siggi und entfernte ein Mulltuch zwischen ihren Beinen und ersetzte es durch ein neues. Er hatte ihr die beiden Kissen unter den Kopf gestopft und sie mit einer Decke zugedeckt. „Versuch ein bisschen zu schlafen, Lindi, es wird bald aufhören zu bluten.“
Es hörte nicht bald auf, Linda wäre an diesem Vormittag fast verblutet. Siggi kam kaum nach mit dem Wechseln der Tücher, so schnell blutete sie diese durch. Erst gegen Nachmittag ließ die Blutung langsam nach, sie hatte viele Liter Blut verloren. Siggi war inzwischen fast in Panik geraten, obwohl er sich bemühte, es Linda nicht merken zu lassen.
„ Das ist ganz normal, Lindi“, sagte er. Aber Linda spürte, dass es alles andere als normal war. Aber was hätten sie denn tun sollen, damals. Hätten sie einen Krankenwagen rufen sollen? Sagen, dass ihr Bruder gerade sein Kind versucht hatte, bei ihr abzutreiben?
Außerdem musste sie unbedingt aus diesem Operationssaal heraus, in dem es inzwischen aussah wie in einem Schlachthaus. Siggi holte einen Eimer mit heißem Wasser und wusch sie ab. Dann windelte er sie wie ein Baby, packte sie in eine Decke und legte sie auf eine Trage. Damit rollte er sie in eines der Patientenzimmer, wo er sie ins Bett verfrachtete. Danach putzte er panisch die ganze Schweinerei weg. Gerda würde er erzählen, dass sie auf der Treppe ausgerutscht sei, sich verletzt hätte, ein Bein verstaucht und er sie in der Klinik versorgt hätte und sie jetzt dort einfach ins Bett gesteckt hätte, weil sie nicht mehr laufen konnte. Das hatten sie gemeinsam so beschlossen, bevor Linda wegdämmerte. Durch den Blutverlust war sie völlig geschwächt.
So kam es, dass Gerda sie am Abend mit frisch gekochter Hühnerbrühe und einem Schokoladenpudding versuchte zu verwöhnen. Linda brauchte Wochen, um sich von diesem Eingriff zu erholen. Ihr Bruder päppelte sie mit Eisentabletten auf, er fälschte einfach Vaters Unterschrift auf einem Rezeptblock und besorgte ihr die Dinger in der Apotheke.
Siggis erste Operation: Er hatte es weggemacht.
Nils zurück in Berlin
Als Nils am Vormittag in die Klinik kam, war niemand da. Weder der SUV seiner Mutter noch das Cabrio seiner Tante standen in der Garage. Noch vom Polizeirevier in Juan-les-Pins aus hatte er seine Mutter angerufen und sie benachrichtigt, dass Carlotta gestorben war. Seine Mutter war zusammengebrochen und sofort nach Nizza geflogen. Der Familienanwalt, der sich damals auch um den Kauf des Hauses gekümmert hatte, war sofort auf die Wache geeilt. Nach stundenlangen Verhören hatten die Polizisten Nils gehen lassen. Er fühlte sich wie unter den Steaker geraten.
Wahrscheinlich war seine Mutter mit dem Auto zum Flughafen gefahren. Tante Linda war das ganze Wochenende nicht an ihr Handy gegangen. Seine Mutter würde sie über Carlottas Tod wohl informiert haben. Nils war erschöpft und seine Laune war auf dem Gefrierpunkt.
Der letzte Streit mit Carlotta lag ihm allerdings im Magen. Was sie da behauptet hatte, war einfach ungeheuerlich. Tante Lindi und seine Mutter? Unmöglich! Seine Mutter und ein Verhältnis in New York? In ihrem Alter?
Er fragte sich, was in Judith wohl vorgegangen war, warum sie verschwunden war. Wie gut, dass sie schlafen gegangen war und ihren Streit nicht mitbekommen hatte. Carlotta war ihm egal. Er war ihr gegenüber so gleichgültig gewesen wie einer Fremden. Sie waren nebeneinander, nicht miteinander aufgewachsen. Es war, als ob sein Vater nicht wollte, dass sie wirklich Kontakt miteinander hatten.
Im Gegensatz zu Judith. Die
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