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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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nur den Versuch gemacht hast, andere zu verstehen. Chalice hat allerhand Schmerz und Leid erlebt. Natürlich hasst sie den Raub. Und sie ist verbittert und sagt gemeine Dinge. In den letzten zweieinhalb Jahren hat sie drei Halbbrüder verloren. Das ist keine leichte Last.«
    Ich verdrehe die Augen. »Das gibt ihr noch nicht das Recht, über den Verlust anderer Leute zu spotten.«
    Seufzend wirft Blaine mir einen Blick zu. Den typischen Großer-Bruder-Blick. Einen Blick, der sagt, dass er es besser weiß. Dann bückt er sich, um die Jacke aufzuheben, die ich für ihn gekauft habe. Als er sich aufrichtet, sieht er müde aus. Ich will nicht mit ihm streiten. Nicht heute. Nicht an unserem letzten Tag.
    »Die Jacke ist für dich.« Mit einer Kopfbewegung weise ich auf das schmutzige Bündel in seinen Armen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Eine Sekunde lang sieht er erfreut aus und gleich darauf leicht erschrocken, aber dann schüttelt er die ängstliche Miene ab und zieht die Jacke an.
    »Danke, Gray.« Sein Lächeln ist wieder da. Das freundliche, brüderliche.
    »Gern geschehen.«
    Mehr sagen wir nicht. Es gibt vieles, womit wir das Schweigen ausfüllen könnten, aber es wäre alles bedeutungslos. Wir wissen beide, was kommt, und nichts wird daran etwas ändern. Worte am allerwenigsten.
    Den Rest des Heimwegs legen wir gemeinsam zurück. Blaine trägt seine Jacke, obwohl die Sommersonne das Land rasch wärmt.
    »Du wirst mir fehlen«, sage ich und blinzle ins Licht.
    »Fang jetzt nicht auch noch an, Gray.« Sein Tonfall ist mehr schmerzlich als verärgert, als könne er doch noch zusammenbrechen, wenn er zum hundertsten Mal in dieser Woche über sein Schicksal diskutieren muss.
    »Vielleicht könnten wir weglaufen, uns verstecken? Wir könnten heute Abend aufbrechen und in den Wäldern leben.«
    »Und was dann, Gray? Wir kommen nur bis zur Mauer, und der Raub ist unentrinnbar, ganz gleich, wo ich mich befinde.«
    »Ich weiß. Aber vielleicht klettern wir über die Mauer. Vielleicht gibt es dahinter noch etwas anderes.«
    Streng schüttelt Blaine den Kopf. »Da ist nichts.«
    »Das weißt du doch nicht.«
    »Jeder, der über die Mauer steigt, landet wieder auf dieser Seite, und zwar tot. Falls da wirklich noch etwas anderes ist, dann würden wir es zwei Sekunden lang sehen, bevor wir sterben.«
    »Es könnte anders ausgehen, wenn wir beide zusammen gehen. So wie bei der Jagd. Gemeinsam sind wir besser, Blaine.« Inzwischen flehe ich ihn praktisch an. Das ist unmöglich. Das Leben kann nicht wirklich so kurz sein.
    Blaine streicht sich das Haar aus den Augen und knöpft sich die Jacke bis zum Hals zu. »Kein Junge wird älter als achtzehn, Gray. Der Raub wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Mach uns das nicht schwerer, als es unbedingt sein muss.«
    Wir wissen beide, dass er recht hat, und treten in tiefem Schweigen zum allerletzten Mal zusammen ins Haus.

2. Kapitel
    Der heutige Tag ist eine Aneinanderreihung von letzten Malen. Unser letztes Mittagessen. Der letzte Nachmittagstee. Das letzte Damespiel. Nach heute Nacht wird es vorbei sein. Nach heute Nacht wird er fort sein.
    Blaine nimmt eine seiner dunklen tönernen Spielfiguren und springt über zwei meiner Figuren aus Holz. Ich streiche mit den Fingern über die Linien des Spielbretts, das in unsere Tischplatte eingeschnitzt ist, während er grinsend meine geschlagenen Figuren einsammelt.
    Es ist schwer zu glauben, dass es schon Zeit für den Raub ist. Ich habe das Gefühl, als wären die Jahre vorbeigeflogen, als müsse ich geblinzelt und dabei ein paar verpasst haben. Die Augenblicke, an die ich mich deutlich erinnere, sind die Meilensteine unserer Kindheit. Der Schulanfang und wie wir das Jagen lernten. Xavier Piltess hat uns in dem feuchtwarmen Sommer, als ich zehn war, unterrichtet. Er war fünfzehn und besaß einen eigenen Bogen. Xavier nahm an Ratssitzungen teil und durfte über wichtige Themen mit abstimmen, und er wusste ganz genau, was ein Kaninchen im Vergleich zu einem Hirsch, einem Wildschwein oder einem wilden Truthahn beim Tauschhandel einbrachte. Aus unserer kindlichen Sicht gab es keine Frage, die Xavier nicht beantworten konnte.
    Bis er natürlich selbst dem Raub zum Opfer fiel.
    Als ich dreizehn war, tauschten Blaine und ich regelmäßig Wild auf dem Markt und halfen Ma zweimal in der Woche in der Näherei. Ein Jahr später holte Ma sich eine Erkältung, die nicht einmal Carter und ihre Medizin besiegen konnten, und wir beide machten

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