Tal der Tausend Nebel
ihrer letzten Begegnung einen Bart wachsen lassen. Seine Augen trafen die von Elisa wie ein Blitzstrahl. Sie realisierte, wie erbärmlich sie auf ihn wirken musste mit ihren offenen, wirren Haaren, in ihrem Nachtgewand, barfuß und in einen schwarzen Umhang gehüllt, das schreiende Kind in dem roten Tuch vor ihre halb entblößte Brust gebunden. Sein mitleidiger Blick sagte es ihr. Elisa Vogel war nurmehr ein Niemand, eine heruntergekommene Kanaka-Braut. Seine Verachtung traf sie wie ein Schwerthieb. Sie verstand jetzt, was Kelii ihr hatte ersparen wollen. Sie sah es in seinen Augen, als sie um Hilfe flehend zu ihm sah. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Bitte … bring mich von hier weg.«
Willenlos ließ sie zu, wie ihr Liebster sanft das Kind aus dem roten Tuch nahm, ihm zärtliche Abschiedsworte in seiner Sprache zuflüsterte und es Elisa zu einem letzten Kuss hinhielt. Dann trug er es zu seiner Königin. Mit einer kleinen Verbeugung reichte er Lili’uokalani das Baby. Die Männer würdigte er keines Blickes.
Elisas Beine wurden schwach. Doch bevor sie unter ihr nachgeben konnten, war Kelii wieder an ihrer Seite. Er stützte sie unauffällig, damit die Männer ihre Schwäche nicht sehen würden, während er ihr Gesicht von der abfahrenden Kutsche weg zum Meer drehte. Mit seiner melodiösen Stimme begann er, ihr ein hawaiisches Lied ins Ohr zu singen. Es handelte von der unendlichen Kraft des Meeres.
Fieberhaft skizzierte Elisa auch dieses letzte Bild an der Hafenmauer in das kleine Buch, das Kelii ihr gebracht hatte. In der Stille ihres unendlichen Leides brachte sie den Abschied von ihrer Tochter zu Papier, während sich ein weiteres Tuch mit der Milch ihrer nutzlosen Brüste tränkte. Immer noch war ihr zum Sterben zumute. Das Essen fiel ihr schwer, und sie wollte nicht sprechen. Doch als vertraute Stimmen in den anliegenden Gemächern von Keliis Mutter erklangen, horchte sie auf. Es waren Kinderstimmen, mindestens drei, die um die Wette krakeelten. Dazwischen hörte sie den warmen Singsang von Nalani und das klägliche Weinen eines Babys.
Gut fünf Monde hatte Eli jetzt das Sonnenlicht gesehen, war aber immer noch erschreckend klein und zart, wie Nalani Elisa wenig später berichtete. Als die Freundinnen zusammensaßen und Elisa den Kleinen entzückt in die Arme nahm, lächelte Nalani verzagt. Sein geringes Gewicht hatte sie zu verantworten, meinte sie, weil sie zu wenig Milch hatte. Andere Nahrung vertrug Eli noch nicht, und Nalani war sichtlich in Sorge.
»Seine Brüder haben mich einfach ausgesaugt … Er kam zu schnell, mein Kleiner hier. Ich hatte noch nicht wieder genug Kraft. Mein tägliches Leben auf der Farm strengt mich nach wie vor sehr an, und jetzt müssen wir auch noch die nächsten Wochen die Ananassetzlinge pflanzen und täglich gießen. Ich weiß gar nicht, wie wir das schaffen sollen …«
Bewundernd sah Nalani auf Elisas pralle Brüste. Und Elisa, die seit dem Morgen an der Hafenmauer vor Trauer kein Wort mehr gesprochen hatte, musste zum ersten Mal lächeln.
»Du weißt gar nicht, wie viel Glück du hast! Mein Baby ist fort. Sie haben meine kleine Tochter mitgenommen …«
Nalani wusste längst Bescheid. Sie nickte nur. Dann lächelte sie.
»Siehst du, er erkennt dich noch nach all den Monaten!«
Tatsächlich schien das zarte Baby Elisa mit dem gleichen wissenden Blick zu mustern wie schon am Tag seiner Geburt. Elisa streichelte und liebkoste seine Arme, seine kleinen Beinchen und den eingefallen Bauch.
»Erlaubst du …?«
Sekunden später hatte Elis Mund sein Ziel gefunden. Zufrieden schmatzte er, während seine Mutter lachend zusah, wie er zuerst Elisas eine und dann ihre zweite Brust leerte, zufrieden aufstieß und kurz danach in Elisas Armen einschlief. Nalani nickte mit einem Zwinkern in den Augen.
»Es ist vielleicht das erste Mal, dass Eli sich richtig sattessen konnte! Vielleicht hat Hoku recht. Möglicherweise ist es der Wille der Göttin Pele, dass Eli bei meiner Schwester Elisa bleibt. Hoku hatte einen Traum …«
Es war ein unkompliziertes und fröhliches Ritual, das eine Woche später im Königspalast zwischen den beiden Müttern und ihren Männern gefeiert wurde. Eli wurde Elisas und Keliis Kind, ihr erstgeborener Sohn. Aber er würde, nach hawaiischem Brauch, auch immer noch zu Nalani und Makaio gehören. So wurde es von den beiden Elternpaaren im Beisein von Lili’uokalani und Hoku beschlossen.
Bei dem Ritual gab es eine Schale Reis, in der eine
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