Tal der Tausend Nebel
weiße Blüte lag. Sie sollte symbolisieren, was durch Hokus Beschluss von diesem Tag an nie mehr ausgesprochen werden sollte. Elisa hatte eine gesunde Tochter zur Welt gebracht, die bei den Haole aufwachsen würde. Alle verbeugten sich einmal vor der Schale, selbst die drei kleinen Jungs von Nalani und Makaio, begleitet von Hokus wehmütigem Gesang. Elisa, die Eli im Arm trug, lächelte still vor sich hin. Auch wenn sie den Schmerz des Abschieds noch fühlte, so verstand sie jetzt auch zum ersten Mal wirklich, mit wie viel Liebe und Achtung ihre neue Familie sie willkommen hieß.
»Mahalo«, sagte sie laut und deutlich, sodass alle im Raum sie hören konnten. Dann küsste sie zärtlich ihren schlafenden, zufriedenen Sohn.
20. Kapitel
Das rote Haus von Lihue, Jahreswende 2011
Die kleine Propellermaschine war bereits im Anflug auf Lihue Airport, als Maja sich an den sorgfältig beschrifteten Zeichnungen sattgesehen hatte. Sie steckte Elisas Skizzenbüchlein in ihre Tasche. Sie würde es Keanu gleich bei ihrem Treffen geben und ihm dabei einige Fragen stellen, nahm sie sich vor. Elisas Leben stellte sie stets vor neue Rätsel, aber immerhin wusste Maja jetzt, wie genau Elisa mit Keanu verwandt war. Eli war ihr Adoptivsohn.
Mit Keanu über Elisa zu reden, würde Maja die Möglichkeit geben, emotionalen Abstand zu wahren. Dann wäre sie gleich auf sicherem Terrain und würde noch nicht einmal in Versuchung kommen, ihm seine bevorstehende Hochzeit mit der Nachricht von ihrer Schwangerschaft zu verderben. Aber wenn Maja ehrlich war, so war es das, was sie eigentlich wollte. Sie gönnte ihm seine Hochzeit und sein Glück nicht wirklich. Maja wünschte sich, dass ihn ihre Begegnung in Nizza ebenso aus der Bahn geworfen hatte wie sie. Aber womöglich war es tatsächlich so gewesen, und sie war am Telefon zu töricht gewesen. Warum sonst hätte er ihr nach ihrer Begegnung so viele Briefe geschrieben?
Doch nach ihrem Telefonat kam kein Brief mehr. Maja hatte ihm eine kalte Dusche verpasst, weil sie keinen anderen Weg sah. Wie sollte es auch gehen? Wenn eine Frau nach einem One Night Stand schwanger wurde und danach behauptete, unsterblich verliebt zu sein, war das mehr als unglaubwürdig. Das konnte nicht gut gehen. So ein Strohfeuer konnte nicht mit vielen Jahren loyaler Liebe konkurrieren, wie sie Keanu und seine Leilani verband. Außerdem wollte er unbedingt eine Hawaiianerin heiraten. Don’t mix the blood war das oberste Gebot seines Klans, das hatte er ihr selber gesagt, als sie in Nizza essen waren.
Maja hatte ihre Optionen viele Male hin und her gewälzt. Sie hatte Luftschlösser gebaut, sie zerstört, um erneut von vorne zu beginnen. Fast wahnsinnig hatte sie sich in München gemacht, bis sie schließlich aufgegeben hatte. Aber letztendlich konnte sie noch nicht einmal zum Telefon greifen, um ihm zu sagen, dass sie ein Kind von ihm bekam und sich darauf freute. Und eine E -Mail? Hätte sie es ihm in einer feigen E -Mail schreiben sollen? Nein, ihre Entscheidung, ihr Geheimnis ganz für sich zu behalten, war Keanu gegenüber die einzig halbwegs faire Option, dachte sie, als sie im dem starken Wind vorsichtig die kleine Treppe hinunterstieg, die der Pilot eigens für die wenigen Passagiere aus dem Flugzeug ausgeklappt hatte. Er lächelte Maja zu.
»Keanu lässt grüßen. Er wartet vorne in der Halle.«
»Danke. Vielen Dank.«
Majas Herz raste, in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum hatte sie nur ihrem Vater verboten, in den nächsten beiden Tagen nach Kauai zu kommen? Sie hatte Max’ Worte im Ohr, als er sie zum Abschied zweifelnd angesehen hatte: »Ich weiß, dass du es selber ausbaden willst. Aber wie genau willst du es denn ausbaden, wenn du Keanu noch nicht einmal davon erzählen möchtest?«
Maja wusste keine Antwort, zumindest keine, die den Gesetzen der Logik folgte. Ihr Gefühl sagte ihr, sie würde wissen, was zu tun ist, wenn sie Keanu endlich in die Augen sehen könnte. Und jetzt sah sie ihn.
Er stand bei der Gepäckausgabe und unterhielt sich mit einem der Flughafenangestellten, den er näher zu kennen schien. Die Männer gestikulierten und lachten, während Maja einen leisen Tod starb.
Wie oft in ihrem Leben war es so gewesen, dass sie diese ganzen Gefühle hatte, mit denen sie nicht zurechtkam, während ihr Gegenüber noch nicht einmal ahnte, in was für inneren Höllen sie schmorte. Keanu unterhielt sich entspannt und lachte, als würde er irgendeine Freundin vom Flughafen
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