Tal der Tausend Nebel
sie notfalls anziehen konnte, wenn es im Flugzeug zu kalt wurde.
Das junge Mädchen von der Rezeption klopfte an ihrer Zimmertür, während Maja ihre Haare kämmte und sie locker hochsteckte.
»Das hier ist gerade für Sie angekommen, es ist eine Leihgabe von Tutu. Sie können sich das Büchlein in Ruhe ansehen, aber dann sollte es bitte in Keanus Hände gelangen. Es ist für das geplante Elisa-Vogel-Museum in Lihue … Keanu weiß Bescheid.«
Das Mädchen mit den umwerfend weißen Zähnen, die Maja an eine perfekte Perlenkette erinnerten, strahlte sie an.
»Sie sind also Keanus Traumgängerin …«
Von der hübschen jungen Frau erfuhr Maja von Elisas Museum, das zu Ehren der Haifischfrau seit Jahren in Planung war, aber immer noch keine Genehmigung bekam. Die junge Frau war ungefähr in Majas Alter und eine hawaiische Schönheit. In rudimentärem Deutsch erklärte sie ihr in wenigen Sätzen, das ihr Nachname van Ween war, ein ursprünglich friesischer Name. Ihre Urgroßmutter Leilani war von königlichem Inselblut, hatte aber im Jahr 1895 einen Deutschen geheiratet.
»Leider! Es gibt einen Urgroßvater Johannes aus Hamburg in meinem Blut! Sonst bin ich ganz und gar Hawaii, so wie auch meine Schwester Leilani … Bitte sagen Sie Keanu schöne Grüße von mir. Ich muss noch bis morgen arbeiten, bin aber sicher rechtzeitig zum Hibiskus-Ball in Lihue … Meine Schwester weiß Bescheid. Hier! Passen Sie gut drauf auf! Und – gute Reise!«
Damit drückte sie Maja das alte Skizzenbuch von Elisa in die Hand. Dann war die junge Frau in dem farbenfrohen Sarong mit einem unergründlichen Lächeln wieder verschwunden.
Die Zeit war knapp. Maja musste ihren Flieger erwischen. Trotzdem setzte sie sich kurz auf ihr Bett. Das war Leilanis Schwester! Natürlich, daran erinnerte sie die junge Schönheit – an das Foto von Keanus Freundin Leilani.
Ob sie etwas von Majas Affäre mit Keanu wusste? Hatte er ihr seinen Ausrutscher inzwischen gebeichtet, oder würde er seine Ehe mit einer Lüge beginnen? Nachdenklich sah Maja auf das Skizzenbuch. Auf den Deckel aus einfacher Pappe hatte Elisa eine einfache Reisschale gezeichnet, in der eine Hibiskusblüte lag. Unter der feinen Federzeichnung standen die Worte: Für meine Tochter Victoria.
Erst am Flughafen von Honolulu, nachdem Maja sich von ihrem Vater verabschiedet hatte und darauf wartete, dass ihr Flug nach Kauai aufgerufen wurde, schlug sie Elisas Skizzenbuch auf.
Innen auf der ersten Seite standen das Jahr 1895 und der Name des Iolani-Palastes in Honolulu. Doch was dann kam, darauf war Maja nicht vorbereitet. Es waren liebevolle Skizzen einer Geburt, begleitet von Worten, die Elisa in gestochen scharfer Schrift dazugeschrieben hatte. Einem kleinen zarten Mädchen mit hellen Augen hatte sie das Leben geschenkt. Es sollte bei fremden Eltern in Oahu aufwachsen, da Elisa mit Kelii fortwollte. Auf der Insel Maui wurden sie bei einer wichtigen Kahuna-Versammlung erwartet, und die Zeit drängte. Doch Elisa hatte es nicht übers Herz gebracht, sich von ihrer Tochter zu trennen …
19. Kapitel
Abschied aus Oahu, Sommer 1895
Stille war um Elisa herum, nichts als Stille. Ihre Brüste waren schwer und schmerzten. Alles, was Elisa tun konnte, um die Schreie in ihrem Inneren zum Schweigen zu bringen, war zeichnen. Seite um Seite füllte sie wie besessen mit jeder ihrer Erinnerungen an das winzige Wesen, das jetzt nicht mehr bei ihr sein konnte. Sie hatten es ihr genommen.
In der Nacht, bevor sie sich von ihrer Tochter trennen sollte, hatte Elisa einen Entschluss gefasst. Sie würde ihre Tochter behalten. Da sie wusste, dass Kelii nie damit einverstanden sein würde, hatte sie das kleine Mädchen in Leilanis rotem Tuch auf ihren Rücken gebunden. Unten am Hafen von Honolulu legten jetzt ständig große Schiffe ab. Der Handel mit Sandelholz florierte, sowohl mit Amerika, als auch mit Asien und Europa. Irgendein Kapitän würde sich sicher erbarmen und Elisa und ihr Kind an Bord nehmen. Kurz vor Morgengrauen riss Elisa aus.
Doch barfuß und im Nachthemd, das sie unter ihrer Decke trug, in die sie sich gegen die Kälte gewickelt hatte, kam sie nicht einmal bis hinunter zu den Schiffen. Kelii holte sie im Laufschritt ein. Die Palastwachen hatten ihn verständigt. Seine Augen blitzten vor Zorn.
»Bist du wahnsinnig, Elisa? Willst du uns umbringen? Möchtest du das wirklich? Es ist sein Kind, das weißt du. Was glaubst du, warum Sanford Dole zwei seiner Leute in den Palast
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