Tal der Traeume
die man früher als Richter angerufen hatte, um Blutvergießen zu vermeiden, wussten keine Antwort, keine Lösung. Während sie in die Abenddämmerung marschierten, brauchte Numinga die drei anderen nicht anzusehen, er kannte ihre Gefühle auch so. Sie waren im Durchschnitt zwanzig Jahre jünger als er, lebten aber in der Vergangenheit. Sie trugen die Bürde des Todes, das konnte er an den angespannten Muskeln ihres Rückens sehen, am Schwung ihrer Hüften, der Art, wie sie auftraten, am Gleichschritt, mit dem sie gingen. Er seufzte. Sie hatten zu viel gesehen, waren zu tief verletzt worden. Sie würden niemals nachgeben und als »zahme« Schwarze um Asyl bitten, wie so viele andere vor ihnen. Wie Numinga selbst. Gegen Verpflegung für die Weißen arbeiten. Sie waren Krieger, doch man würde sich an den Lagerfeuern der Zukunft keine Geschichten über sie erzählen, sie würden in dem Wirbelwind untergehen, der ihre Rasse verschlang.
Numinga trauerte an ihrer Stelle, konnte ihnen aber keinen Rat geben: Er wusste keinen Ausweg. Er selbst hatte die Lebensweise der Weißen vor Jahren ausprobiert, die Freundschaft eines Weißen angenommen, eines Viehzüchters. Er war fasziniert gewesen von all dem Neuen, von den Pferden, die ihm ans Herz gewachsen waren. Es hatte weh getan, als Mimimiadie auch die Pferde der Goldsucher mit dem Speer tötete. Er hatte dazwischen gehen wollen, doch man hatte ihn ausgelacht und beiseite gestoßen. »Diese Tiere gehören nicht hierher. Sie haben keinen Platz in unserer Traumzeit«, hatte Mimimiadie gerufen. Und dies von einem Mann, der sich einige Wochen lang eines gestohlenen Pferdes gerühmt hatte, bis die Polizei es ihm wegnahm.
Numinga hatte auf der Station gearbeitet, fasziniert von dem Gedanken, dass die weißen Menschen derart luxuriöse Schutzhütten benötigten. Er hatte gelernt, wie man ein Pferd ritt, Vieh zusammen trieb, und beherrschte bald auch ihre Sprache. Er hatte sie gelehrt, Nahrung und Wasser in Gegenden zu finden, die sie als leere Wildnis betrachteten, und sich über ihre Unwissenheit amüsiert. Als sein Boss eine neue schwarze Frau mitbrachte, hatte er sich geschämt und schämte sich noch. Der Boss hatte keine Ehefrau und daher beschlossen, dass diese, die er von einem in der Nähe lebenden Stamm entführt hatte, ihm reichen würde. Er band sie an einen Baum, um sie zu zähmen, als sei es die natürlichste Sache der Welt. Er hatte sie drei Tage dort gelassen, und Numinga hatte nicht gewagt, seine Missbilligung zu zeigen, brachte ihr aber etwas zu essen. Sie war ein schönes Mädchen, mit weicher Haut und zarten Zügen. Aber temperamentvoll. Sie hatte ihn angespuckt, seine Hilfe zurückgewiesen, geschrien und getreten, wenn der Boss sich lächelnd näherte. Als er sie schließlich freiließ, griff sie ihn mit Tritten und Bissen an. Daraufhin hatte er sie geprügelt. Zu sehr. Am Ende wies er seine Männer an, sie gehen zu lassen, was sie auch taten, nachdem sie den Verband von ihrem Kopf entfernt hatten. Denn sie war zu nichts mehr nütze. Mit ihrem zerschlagenen Hirn war sie zu einer Verrückten geworden, die auf Nimmerwiedersehen in den Busch taumelte. Die Scham. Die Schande, dachte Numinga trauervoll, selbst wenn es schon so lange zurücklag. Er hatte versucht, sich damit zu trösten, dass schwarze Männer mit ihren Frauen ebenso hart ins Gericht gingen, wenn diese gegen die Gesetze verstoßen hatten. Doch was hatte dieses Mädchen getan? Er versuchte, nicht mehr daran zu denken. Kurz darauf war ein Trupp weißer Männer auf die Station gekommen, und der Boss hatte sie freudig willkommen geheißen. Doch diese Männer, die der berittenen Polizei angehörten, hatten sechs schwarze Gefangene dabei, die Ketten um den Hals trugen, genau wie sein Vater. Numinga war entsetzt gewesen. Er hatte geglaubt, die Zeiten seien vorbei. Man ließ sie über Nacht am Pferdetrog, doch ohne Wasser, so dass er sich in der Dunkelheit hinausstahl und jedem Mann einen Krug Wasser brachte. Er war froh über ihre Dankbarkeit. Doch später in der Nacht waren die betrunkenen weißen Männer, darunter auch sein Boss, aus dem Haus gewankt, hatten die Gefangenen freigelassen und dann auf die Flüchtenden geschossen und gejubelt, wenn einer getroffen zu Boden stürzte. Am nächsten Morgen zogen die Besucher fröhlich weiter, nachdem sich der Boss ohne ein Zeichen der Reue von ihnen verabschiedet hatte. Numinga hätte sein Gewehr benutzen können. Er wusste, wie man damit schoss, hatte verletztes
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