Tal der Träume
verschiedenen Salben ein, so dass er sich vorkam wie ein Krieger in voller Bemalung. Er wusste nicht, ob die Salben etwas nützten, und hätte sie am liebsten abgewaschen, aber die beiden Experten ließen darin nicht mit sich reden.
Als es ihm besser ging, verfrachteten sie ihn in einen Lehnstuhl, wickelten ihn in Decken wie eine Großmutter und zwangen ihn zur Ruhe, bis der Arzt seine »Mitte« für gesund erklärte. Vermutlich meinten sie damit die Nieren, die noch von den Tritten schmerzten. Allerdings konnte er wieder pinkeln, was wohl ein gutes Zeichen war.
Doch irgendwann hörten die beiden Chinesen plötzlich auf zu streiten. Sie wurden kalt und schweigsam und wechselten verstohlene Blicke. Yorkey sorgte sich so sehr, dass er sich erkundigte, ob er etwas falsch gemacht habe.
»Nein, nein, du guter Kerl. Bald gesund«, meinte Tom Ling beschwichtigend.
»Was ist denn dann mit euch los?«
»Nichts!«, schrie Tom. »Nichts los! Alles prima!«
Von wegen, dachte Yorkey.
Dann kam Mrs. Oatley eines Tages herein, um nach ihm zu sehen, und kurz darauf folgte der junge Mr. Oatley. Sie scherzten über die zahlreichen Besucher, für die nur ein Stuhl zur Verfügung stand. Yorkey lachte mit ihnen. Dann brachte Tom Ling seinen Tee, und er bemerkte überrascht den Blick, den der Chinese den beiden zuwarf.
Es ging blitzschnell, doch wenn Blicke töten könnten, wären die beiden auf der Stelle umgefallen.
Mrs. Oatley und Mr. Myles plauderten weiter, ohne etwas zu bemerken. Als Tom gegangen war, erhob sich Mrs. Oatley ebenfalls. Ihre Hand strich leise über Myles’ Hand, und das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war ebenso verräterisch.
Hielten sie ihn für blind? Meinten sie, ein Schwarzer sei nicht empfänglich für derartige Dinge? Diese Berührung, dieses Lächeln verhießen nichts Gutes. Für einen Moment hatten sie wie ein Liebespaar gewirkt, und Yorkey war schockiert.
Später wollte er sich einreden, es sei nur Einbildung gewesen. Und selbst wenn? Sie gehörten zu einer Familie, da gab es gefühlsmäßige Bindungen. Andererseits war ihm die Atmosphäre, die im Raum herrschte, die Spannung in der Luft, nicht entgangen. Allmächtiger Gott, was spielte sich da ab? Mr. Oatleys Frau und sein eigener Sohn!
Yorkey kippte den Tee mit einem Schluck hinunter.
Tom Ling kam mit verdrießlichem Gesicht zurück, um Tasse und Untertasse zu holen, sagte aber nichts. Es gab Dinge, die besser unerwähnt blieben. Den beiden argusäugigen Chinesen entging nichts, und ihr Wissen erklärte auch das Geflüster der letzten Tage.
William und Myles spielten Schach auf der Veranda. Keiner von ihnen schaute hoch, als Harriet ins Wohnzimmer ging. Sie fühlte sich ruhelos und wusste nichts mit sich anzufangen. Die Nacht war so feuchtwarm, sogar die Wände schwitzten, braune Rinnsale liefen am Putz hinunter. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und griff nach einem Fächer. Dieses Zimmer war zu schlecht belüftet, ein Konstruktionsfehler, wie Myles behauptete. Die meisten Zimmer hatten Flügeltüren, andere normale Fenster, aber das Wohnzimmer lag mitten im Haus, so dass nur durch die beiden Türen Luft hereindrang. Innen liegende Zimmer waren in diesem Klima einfach nicht zu empfehlen.
Harriet hing untätig im Sessel, seufzte, schwenkte den Fächer träge hin und her, ergriff das schön illustrierte Buch, das Myles seinem Vater aus London mitgebracht hatte. Sie betrachtete ein Bild des Tower, der in seiner düsteren Kälte irgendwie wohltuend wirkte. Sie dachte an Schnee. Im Gegensatz zu Myles hatte sie noch nie welchen gesehen.
Während seines Aufenthalts in London hatte es geschneit, und er hatte von der wunderbaren weichen, weißen Stille geschwärmt, in der die Welt versank.
»Und die Kälte«, murmelte Harriet sehnsüchtig.
Sie hörte Rufen. Dann Gelächter. Einer hatte den anderen ausmanövriert. William spielte besser, doch Myles lernte ständig dazu, folglich hatte er das Spiel am letzten Sonntag gewonnen und seither damit geprahlt.
Harriet ließ den Fächer fallen und hob ihn zitternd auf. Wie hatte es nur geschehen können? Keiner von ihnen hatte es gewollt, zu Beginn hatte sie nicht einmal geglaubt, dass sie Freunde werden könnten, und nun …
O Gott!
Eigentlich konnten sie nichts dafür, dachte Harriet. Sie verbrachten gezwungenermaßen so viel Zeit miteinander, dass eine gegenseitige Zuneigung nicht ausgeschlossen blieb. Sie waren erleichtert gewesen, eine gemeinsame Basis zu finden und William damit
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