Tal der Träume
Vernunft zu kommen. Was hatten sie getan? Jemand anderem das Kind aufgehalst? Offensichtlich gab es in dieser Familie auch Probleme. Hatte es da nicht ein Gerücht gegeben, sie wolle ihren Mann verlassen? Woher stammte es doch gleich? Natürlich … er hatte es von Christy Cornford gehört. Und dann der andere Skandal mit Myles Oatley. Er hatte Lucy verschmäht, und jetzt machte Cornford ihr den Hof.
»Selbstverständlich, meine Liebe. Sie können sich auf mich verlassen. Sagen Sie mir, was Sie bedrückt.«
Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und wartete darauf, dass man ihn in die Geheimnisse der Hamiltons einweihte. Was er zu hören bekam, entsetzte ihn, doch er unterdrückte jegliche Missfallensäußerung, vor allem gegenüber Maudie Hamilton, die sich offenbar wieder bei ihm einschmeicheln wollte und mit einer Kanne Tee und einigen Scheiben ihres so genannten Vorweihnachtskuchens herbeieilte. Der Kuchen schmeckte köstlich, und Walters gratulierte ihr dazu.
Nachdem man ihn eingeweiht hatte, verkündete er salbungsvoll und mit ernster Miene: »Ich bin so froh, dass Sie sich mir anvertraut haben. Das hätten Sie gleich tun sollen. Ich verstehe Ihre prekäre Lage. Wie furchtbar, dass sich der arme Mr. Oatley in den Händen dieses Schurken befindet. Aber Sie müssen dennoch verstehen, dass Sie dieses Kind dem Herrn entzogen haben und die Polizei um die Chance bringen, einen Mörder zu fassen. Wie viele Leben wird wohl dieses übereilte Abenteuer kosten?«
»Es war unsere einzige Chance, Mr. Oatley zu retten«, gab Sibell zu bedenken. »Wir alle haben die Aufgabe, ihm zu helfen, und ich möchte Sie um Verständnis bitten. Wir wollten Sie nicht hintergehen, aber nicht in die Geschichte hineinziehen. Daher war es besser, diesen Weg einzuschlagen. Ich möchte Sie bitten, niemandem etwas davon zu sagen, bevor wir von Zack gehört haben. Ich habe keine Ahnung, was seither geschehen ist oder ob sie Boomi überhaupt abgeliefert haben.«
Sie hatten ihm das Kind tatsächlich unter der Nase weggestohlen! Ihn zum Narren gehalten! Für wen hielten sich diese Leute mit all ihrem Geld? Standen sie etwa über dem Gesetz? Und über dem Herrn? Ihre Eitelkeit war eine schwere Sünde.
Er lauschte ihren Dankesbezeugungen, ihrer himmelschreienden Heuchelei, und nickte feierlich wie beim Gebet. Dann verließ er das Haus, nachdem er den angebotenen Mantel ausgeschlagen hatte, trat in den reinigenden Regen hinaus und rief den Herrn an, er möge seinen Gleichmut in dieser Lasterhöhle wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Wenn er von dem endlosen Regen absah, kam er sich beinahe vor wie Jesus, der in die Wüste gegangen war, umgeben von den Teufeln der Versuchung, und dennoch nicht von seiner Pflicht abgewichen war. Er würde die Demütigung, das Kind verloren zu haben, und sogar den Zorn der Polizei hinnehmen, auf dass ihn der Vater im Himmel liebte. Doch nun musste er Cavendish umgehend davon in Kenntnis setzen. Zunächst aber suchte er Mrs. Oatley auf.
Harriet führte Reverend Walters, der wie eine nasse Vogelscheuche aussah, ins Wohnzimmer. Die Störung ärgerte sie, sie hatte schon genug Sorgen, ohne ihn auch noch unterhalten zu müssen. Zähneknirschend bot sie ihm einen Platz an.
»Ich stehe lieber. Ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier, Schwester Oatley, und falls Sie meinen, dass es dabei um den Verbleib Ihres Ehemannes geht … darüber weiß ich Bescheid und möchte mein Mitgefühl bekunden. Obgleich er kein frommer Mensch ist, werde ich für ihn beten, auf dass Gott ihn diese schwere Prüfung überstehen lässt.«
Sie starrte ihn an. »Oh, vielen Dank. Möchten Sie Tee oder eine Erfrischung? Vielleicht Limonade?«
»Danke, nein.« Er zog seine Taschenuhr hervor. Ihm blieb noch genügend Zeit, um Cavendish aufzusuchen und von den Gesetzesverstößen der Hamiltons zu berichten. Der Polizeipräsident würde ebenso empört sein wie er.
»Schwester Oatley, ich möchte, dass Sie gemeinsam mit mir niederknien und beten. Haben Sie Ihre Bibel zur Hand?«
»Jetzt?«
»Ja, meine Liebe, jetzt.«
»Gut, es ist freundlich von Ihnen, herzukommen. Ich mache mir solche Sorgen um William, dass ich kaum noch klar denken kann.«
Hatte sie nicht zugehört? Es ging doch gar nicht um die Entführung ihres Mannes. Der Reverend empfand ein wenig Mitleid mit William Oatley, das jedoch schnell verflog. Der Mann hatte schließlich dem Herrn den Rücken gewandt.
Sie kam mit der Bibel zurück, und er hieß
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