Tal der Träume
vielleicht schlecht behandelt?«
»Nein, niemals.«
»Dann vielleicht sein Sohn … O ja, der Herr sieht alles. Vielleicht hat der Sohn Sie ausgenutzt, gegen Ihren Willen? In Abwesenheit seines Vaters. Das, Schwester, wäre ein Verbrechen gegen Natur und Gesetz, wir könnten ihn anklagen. Das Verbrechen der Vergewaltigung ist in dieser Stadt nicht unbekannt.«
Sie starrte ihn an. »Was reden Sie da? Ich soll Myles der Vergewaltigung bezichtigen?«
»Wenn ein Mann intime Beziehungen zur Frau seines Vaters unterhält … Eine üblere Sünde kann ich mir kaum vorstellen, aber Sie könnten aussagen, dass er Sie gezwungen hat …«
»Hören Sie bitte auf! Ich verstehe das nicht. So war es nicht … Gott, nein!«
»Dann können Sie mir vielleicht erzählen, wie es war, wie Sie in diesen traurigen Zustand gelangt sind, Mrs. Oatley. Wir werden gemeinsam versuchen, Sie aus diesem Unglück herauszuführen. Sie sind verzweifelt, das sehe ich, brauchen jemanden, mit dem Sie reden können …«
»Ja«, murmelte sie, »ich kann das alles nicht mehr ertragen.«
Er lauschte angewidert, unterbrach aber nicht ein einziges Mal die in seinen Augen ekelhafte, von Selbstmitleid triefende Litanei von Lust und Betrug. Mit ihrem Stiefsohn – einfach entsetzlich! Welch lasterhafte Menschen unter dem Deckmantel des respektablen Bürgertums lebten.
»Und ihr Ehemann weiß von der Affäre?«, fragte Walter schließlich.
»Ich glaube schon.«
»Was hat er getan?«
»Nicht viel. Er ging in den Busch.«
»Er hat nichts unternommen?« War dieses Haus derart von Laster durchdrungen?
Es war an der Zeit, den Zorn Gottes auf diese Sünderin herabzurufen. Er schalt sie, brüllte sie an, wie der Herr es getan hätte.
Die Polizeiwache hatte mittlerweile geschlossen, doch das hier war wichtiger. Der Polizeipräsident konnte bis zum nächsten Morgen warten.
Er nannte sie eine Hure. Schlimmer als eine Hure. Wie viele Huren gingen schon mit Vater und Sohn ins Bett? Vielleicht hatte sie sich beiden Männern zur selben Zeit hingegeben? Gräuel dieser Art waren nicht unbekannt. Hatte sie sich ihnen in schamverletzender Weise gezeigt, bis keiner mehr widerstehen konnte? War sie nackt durchs Haus gelaufen, um ihre Lust zu allen Tages- und Nachtzeiten zu befriedigen? Seine Fantasie ging mit ihm durch, als er an die Ausschweifungen dachte, die sich wahrscheinlich in diesen vier Wänden abgespielt hatten. Ihre heidnischen Diener unterstützten sie vermutlich noch darin. Warum sonst hatte sie keine weißen Hausangestellten?
Harriet war am Boden zerstört. Sie umschlang die Knie, ihre vollen Brüste quollen aus dem Ausschnitt, sie war bar jeder Würde. Nun konnte Walters verstehen, was diese Männer zur Sünde verleitet hatte. Die cremigen runden Brüste, der tiefe Spalt dazwischen genügten, um … egal, diese Lasterhöhle musste gereinigt werden.
Er setzte sich neben Harriet und legte den Arm um sie. Sie zitterte am ganzen Leib.
»Loben Sie den Herrn, Schwester Oatley, es ist vollbracht. Sie sind auf den rechten Weg zurückgekehrt. Amen, sagen Sie Amen.«
»Amen«, murmelte sie.
»Was können wir tun, um Sie wieder in den Stand der Gnade zu versetzen? Ich frage Jesus. Was können wir tun? Lassen Sie mich nachdenken. Hier bleiben können Sie nicht. Es darf nicht sein. Ich habe dies schon erlebt, habe Huren davon überzeugt, die Hurenhäuser zu verlassen. Aus freiem Willen. Manche besaßen leider nicht genügend Gottvertrauen, um sich zu lösen, doch einige konnten mit aller Kraft neu beginnen. Möchten Sie eine von diesen sein?«
Sie nickte geistesabwesend.
»Dann gehen wir den Weg zusammen. Wir schreiten gemeinsam von der Dunkelheit ins Licht. Sind Sie bereit, Schwester Oatley? Besitzen Sie die Stärke, mit mir zu kommen? Die Lasterhöhle hinter sich zu lassen? Weiche von mir, Satan! Sagen Sie das, wenn wir jetzt gemeinsam aufstehen.« Er hob sie auf die Füße.
»Höre ich es?«
»Weiche von mir, Satan«, wiederholte sie.
Er ging mit ihr zur Haustür. Sie war so groß wie er, doch er musste sie mit starkem Arm und der Kraft Gottes stützen.
Ein chinesischer Diener kam angelaufen. »Wo Missy hingehen?«
»Tritt beiseite!«, befahl Walters.
»Missy braucht Mantel!«
»Mrs. Oatley braucht gar nichts von hier. Gib mir meinen Regenschirm.«
»Regen hat aufgehört«, sagte der Chinese, gab ihm aber den Schirm. Er schaute seine Herrin an. »Alles gut, Missy?«
Sie winkte ihn zur Seite und taumelte am Arm des triumphierenden
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