Tal der Träume
geregelte Arbeitszeiten abzuringen. Er hatte sich wie ein Dienstbote jederzeit verfügbar zu halten. Sie scheuten nicht davor zurück, ihn wegen der trivialsten Angelegenheiten aus seiner Freizeit zu rufen, und er musste sogar mit Mrs. Mollard Dame spielen, wenn sie nichts Besseres zu tun hatte.
»Und dann muss ich sie auch noch jedes zweite Mal gewinnen lassen«, murmelte er vor sich hin, »damit es nicht gar so langweilig wird.«
Sie schienen zu glauben, er schulde ihnen Dankbarkeit für das gesellschaftliche Leben, das sie ihm ermöglichten. Dazu gehörte auch, dass er den Begleiter für verängstigte Freundinnen ohne Mann abgab, so als besitze der Adjutant kein Recht auf ein Privatleben.
Deshalb empfand Christy auch keine Gewissensbisse wegen seines Arrangements mit Oatleys Sekretär. Warum auch, es war höchste Zeit, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Wenn die Amtszeit des Residenten in einem Jahr ablief und er nicht wieder ernannt wurde, hätten sie ohnehin keine Verwendung mehr für ihn. Er konnte dann nur hoffen, dass ihn der Nachfolger ebenfalls in seine Dienste nehmen würde.
Christy beneidete Leo Lavelle. Es wäre schön, als Adjutant solche Entscheidungen treffen zu dürfen. Er selbst konnte nicht einmal seinen Schreibtisch ohne Mollards Erlaubnis verrücken. Und gut gekleidet war Lavelle auch. Es hieß, Oatley sei nicht nur ungeheuer reich, sondern auch großzügig. Seinen Sekretär bezahlte er zweifellos gut.
In dem Zusammenhang kam ihm ein Gedanke. Es wäre nett, zur Abwechslung einmal einen reichen Mann statt eines Pfennigfuchsers in der Residenz zu haben. Vielleicht dachte Oatley wirklich an eine Bewerbung um dieses Amt.
Christy weigerte sich, das Arrangement mit Oatley als Bestechung zu betrachten, sondern sah es eher als geschäftliche Vereinbarung, die keinen Schaden anrichten konnte. Doch es kam noch besser. Im Grunde war es ein politischer Schachzug, der seinem eigenen Überleben auf dem unsicheren Boden einer Adjutantenlaufbahn nur förderlich sein konnte. Er musste sich mit dem Amtsinhaber
und
dessen möglichem Nachfolger gut stellen.
Über Nacht war ein Küstendampfer eingelaufen, der Post mitbrachte. Als Mollard zum Frühstück erschien, bot sich der Adjutant an, zum Hafen zu laufen und die Posttasche des Residenten zu holen, erfuhr jedoch, dass man bereits einen Diener losgeschickt habe.
Christy stieß einen leisen Pfiff aus und wartete am Tor. Der feine Herr war wohl ebenso scharf auf die Post wie er selbst.
Als der Diener ächzend die Tasche anschleppte, nahm Christy sie entgegen und eilte damit in sein Büro, eine kleine Nische neben dem des Residenten. Er schloss die Tasche auf und sah sie durch. Nichts Außergewöhnliches. Schreiben aus dem Ministerium, Kataloge, private Briefe, nichts, was nach einem Bericht aussah. Enttäuschend. Da Mollard seine Post und die seiner Frau stets selbst öffnete, brachte Christy die Briefe in das Büro des Residenten, ordnete sie säuberlich neben dem eleganten Brieföffner aus Elfenbein und ging zu seinem Chef.
»Wie? Sie ist da? Warum hat man mir nichts davon gesagt?«
»Ich habe alles auf Ihren Schreibtisch gelegt, Sir.«
»Verdammt, bringen Sie es her. Nein, Moment, ich kümmere mich selbst darum.«
Er schlürfte seinen Kaffee, betupfte sich die Lippen mit einer Serviette und eilte hinaus.
Christy wartete, während sein Vorgesetzter die Umschläge aufschlitzte und den Inhalt beiseite warf, bis er auf einen stieß, der einen Zeitungsausschnitt mit angehefteter Notiz enthielt.
»Ha!«, rief Mollard »Ha! Mal sehen.«
Er setzte die Brille auf und las den langen Artikel, wobei sein knolliges Gesicht purpurrot anlief.
»Bei Gott!«, stieß er hervor. »Bei Gott!«
»Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?«
»Nicht in Ordnung? Was soll das heißen? Das ist glatte Verleumdung! Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so schlimm kommen würde! Holen Sie mir ein Glas Wasser!«
Christy eilte mit dem Glas herbei, das der Resident gurgelnd austrank. »Diese Frau ist eine Bedrohung. Ich verklage sie, das ist mal sicher.«
»Welche Frau?«, erkundigte sich Christy, der seine Neugier nicht länger bezähmen konnte.
»Holen Sie meinen Anwalt Judah Forrest, aber schnell!«
»Entschuldigen Sie, Sir, aber Sie haben um zehn Uhr eine Verabredung in der Bank. Es ist gleich zehn.«
»Ich pfeife auf die Bank!«
»Es ist sehr wichtig. Falls der Überbrückungskredit heute nicht bewilligt und unterzeichnet wird, ruhen die öffentlichen Arbeiten, bis der
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