Tal der Träume
Irgendjemand musste ihr diese Bemerkung in die Schuhe geschoben haben. Dennoch war das keine Entschuldigung für diesen groben Brief.
Harriet zerriss ihn in kleine Schnipsel und warf sie in den Mülleimer vor der Küchentür, als seien sie verseucht. Es wäre furchtbar, wenn William darauf stieße. Was sollte sie ihm sagen? Dann dachte sie über eine mögliche Antwort nach. Sollte sie der Frau in aller Ruhe vor Augen führen, wie ungerecht und unangebracht ihr Schreiben war? Doch je mehr sie die Formulierungen im Geiste durchging, desto wütender wurde sie. Verdammt, weshalb sollte sie sich überhaupt die Mühe machen? Maudie Hamilton hatte es gewagt, sie als gesellschaftliche Aufsteigerin zu titulieren, dabei hatte Harriet die Hamiltons als Freunde betrachtet. Vielleicht wäre es besser, Lucy zu schreiben und sie nach der Ursache des Aufruhrs zu fragen. Lucy würde auf Grund ihrer Beziehung zu Myles sicher keinen Streit mit den Oatleys wünschen, auch nicht mit William, von dem sie über Myles’ Reisen auf dem Laufenden gehalten wurde.
Doch die Sorge ließ sie den ganzen Tag nicht ruhen. Harriet wünschte mittlerweile, sie hätte den Brief nicht zerrissen.
Leo kam dem Rätsel schließlich auf die Spur. Auf Williams Ersuchen traf er sich in der Bar der Telegrafengesellschaft mit Christy Cornford.
»Ich habe hier die Quittung über Mr. Oatleys Spende für den Baufonds des Tennisplatzes. Es scheint, als habe man Mrs. Oatleys Aufnahmeantrag für den Damenklub übersehen. Könnten Sie das bitte überprüfen?«
Christy verzog das Gesicht. »Nicht nötig, Leo. Sie steht auf der schwarzen Liste.«
»Wie bitte? Das ist doch nicht möglich!«
»Und ob.«
»Wieso denn?«
»Ich kenne nicht die ganze Geschichte, aber es sieht aus, als habe sie den Residenten und seine Frau beleidigt. Den Anfang machte ein Telegramm aus Perth. Ich habe es nicht selbst gesehen oder gelesen, aber Seine Exzellenz bekam deswegen einen Tobsuchtsanfall.«
Leo war immer irritiert bei der Erwähnung »Seiner Exzellenz«, da er diesen Titel für unangemessen hielt, doch im Augenblick gab es Wichtigeres.
»Sie müssen doch eine Vorstellung von dem haben, was in dem Telegramm stand. Es kann sich nur um einen Fehler handeln, Mrs. Oatley ist eine sehr nette Frau. Ich kann nicht glauben, dass sie die Mollards beleidigt hat.«
»Na ja, irgendetwas ist im Busch, und es sieht nicht gut aus für Ihren Boss. Wenn ich mich recht entsinne, kam das Telegramm an dem Morgen von Oatleys Treffen mit den Herren Perdoe an. Ich hörte zunächst nur, der Resident habe von den Besprechungen Abstand genommen.«
»Deshalb ist er also nicht gekommen!« Leo schüttelte den Kopf. »Ich verstehe es einfach nicht.«
Christy schaute ihn fragend an. »Es gibt so ein Gerücht, Oatley wolle selbst Resident werden …«
»Unsinn! Von wem haben Sie das?«
»Aus meinem Büro. Mollard wartet auf einen vollständigen Bericht aus Perth.«
»Worüber?«
»Das Telegramm scheint nur ein erster Hinweis von einem Freund aus Perth gewesen zu sein. Brief folgt, sozusagen. Aber es muss wohl brüskierende Informationen enthalten haben, wenn es Oatley und seine Frau derart in Ungnade gestürzt hat.«
»Dennoch«, sagte Leo eisig, »was immer es auch sein mag, Mr. Oatley und seine Frau wissen nicht das Geringste darüber.«
Christy antwortete mit einem Schulterzucken. »Mal sehen, ich persönlich kann es gar nicht erwarten, es zu erfahren. Noch einen Drink?«
»Gern«, sagte Leo nachdenklich. Er wusste, dass Christy nur ein kleines Gehalt bezog, weniger als die meisten Beamten in Darwin, und damit ein weiteres Opfer von Mollards Geiz war. Sicher, seine Stelle bot ihm freien Zugang zu gesellschaftlichen Anlässen und ein gewisses Prestige, aber …
Leo bezahlte die beiden Whiskys und wagte einen Versuch. »Oatley hat ein Recht auf eine faire Chance«, sagte er. »Wenn jemand solche Informationen über ihn verbreitet, sollte er einen Blick darauf werden dürfen.«
»Mag sein, dass es vertraulich ist.«
»In diesem Fall würde ich natürlich niemals eine Kopie von Ihnen verlangen, aber wenn nicht, könnte es sich für Sie lohnen.«
»In welcher Hinsicht?«, erkundigte sich Christy vorsichtig.
Leo tastete sich vorsichtig voran. Bargeld? Wenn ja, wie viel? Dann fiel ihm ein, dass Christy sich vor einiger Zeit nach dem Preis eines Grundstücks in der Bennet Street erkundigt hatte, das Oatley gehörte, ihm aber zu teuer gewesen war.
»Wie steht es mit dem Land an der Bennet
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