Tal ohne Sonne
ob sie uns zum richtigen Tal führt. Wir müssen es ihr glauben. Wer weiß, wie viele kleine Einschnitte es hier in den Bergen gibt, von denen der eine dem anderen gleicht!«
»Das kann auch sein«, sagte Leonora. »Damit müssen wir sogar rechnen. Um dich nicht in Gefahr zu bringen, Pepau, führt sie uns in ein völlig anderes Tal. Können wir es ihr nachweisen?«
»Diese Weiber!« Reißner spitzte die Lippen, als wolle er ausspucken. Aber er war doch so höflich, es nicht in Gegenwart von Leonora zu tun. »Also gut, ich bleibe hier. Ich habe mir sowieso einige Dinge vorgenommen, die angenehmer sind, als durch diesen verdammten Urwald bergauf, bergab zu klettern. Viel Glück, meine Lieben!« Er tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn und ging zu den Neubauhütten hinüber. Die Frauen schleppten große Palm- und Bananenblätter für die Dachdeckung heran. Auch die schöne Nana war darunter, und Reißner steckte die Hände in die Hosentaschen und betrachtete begehrlich ihre jungen, spitzen Brüste.
Zynaker und Schmitz waren diesmal mit Reißners Vorschlag einig: Sie nahmen die Waffen mit, die MPi und die Gewehre, dazu jeder eine Pistole und genug Munition. Das Gebiet der Pogwa grenzte genau an das Tal, und eine Begegnung mit diesem Stamm, das wußten sie, konnte nur blutig verlaufen.
Am Bach wartete Lakta auf sie. Ihr Gesicht war traurig, und sie hielt auch nicht ihren Mund hin, damit Schmitz sie küsse.
Samuel übersetzte, was sie sagte.
»Wenn der ›Geist der donnernden Wolken‹ Pepau tötet, will auch ich nicht mehr leben. Ihr müßt mich töten.«
»Darüber wollen wir nicht sprechen«, antwortete Zynaker ausweichend.
»Wenn ihr es nicht tut, werfe ich mich in die Schlucht.«
»Du … du wirst weiterleben, Lakta«, sagte Schmitz gepreßt und zu den anderen gewandt: »Versprecht mir, daß sie sich nichts antut. Haltet sie fest, laßt sie nicht aus den Augen. Ich weiß, daß sie sich umbringen wird, wenn mir etwas passiert.«
»Warum sollte ausgerechnet dir etwas passieren?« Zynaker schüttelte den Kopf.
»Weiß man das im voraus?«
7
Es war ein früher Morgen, nebelig wie immer, als sie in den Urwald eintauchten. Zunächst ging es über einen ihnen schon bekannten Jagdpfad, aber nach ungefähr zwei Meilen bog Lakta nach rechts in das Dickicht ab. Keine Spur wies in diese Richtung, und jeder wäre an dieser Stelle vorbeigegangen. Nur eine Eingeborene wie Lakta besaß, einem Tier gleich, den Instinkt, den richtigen Weg durch die grüne Wildnis zu finden.
Jetzt ging Zynaker ihr voraus und hieb mit der Machete einen schmalen Pfad durch das Gestrüpp, so breit, daß man gerade noch hintereinander gehen und die herunterhängenden Zweige und Farne wegdrücken konnte. Es war ein mühsames Vorankommen, Meter um Meter, und immer wieder fragte sich Schmitz, wie Lakta es geschafft hatte, damals das Tier durch diese grüne, alles abweisende Wand zu verfolgen. Oder führte sie sie einen falschen Weg? »Bist du sicher, daß es hier war?« ließ er durch Samuel fragen.
Sie nickte und zeigte den Hang hinauf, der vor ihnen lag. »Hinter dem Berg«, sagte sie dabei. »Es ist eine tiefe Schlucht, mehr sieht man nicht. Vielleicht ist unten ein Fluß – ich weiß es nicht. Immer sind Wolken darüber.«
Das ›dampfende Tal‹, das ›Tal ohne Sonne‹, hinter diesem Berg. Wie nah war es jetzt, dieser kleine Teil der Welt, den noch niemand gesehen und betreten hatte. Der auf keiner Karte stand, den es einfach nicht gab. Und den auch keiner vermißte. Eine Kerbe nur in einem Berg, ein winziger Einschnitt in der großen Welt.
Der Weg durch den Urwald, den Berg hinauf, war mühsam, das Unterholz und die miteinander verschlungenen Lianen und anderen Hängepflanzen mußten durchschlagen werden. Dazu kam die Hitze, die alle Feuchtigkeit aufsaugen wollte und flatternde Nebelschwaden bildete. Es tropfte von allen Bäumen, Farnen und Riesenbüschen; sie wurden bis auf die Haut durchnäßt und begannen in der Sonnenglut, die aus einem milchigen, nur erahnten Himmel fiel, zu schwitzen, das Atmen wurde schwer, die Beine fühlten sich wie zentnerschwere Schläuche an, und immer ging es weiter bergauf, Meter um Meter, die abwechselnd Zynaker, Schmitz oder Samuel aus der grünen Wand heraushieben.
Auf einer lichteren Stelle rasteten sie, holten Atem, tranken aus den mitgenommenen Feldflaschen Ananassaft und ruhten sich eine Stunde aus. Lakta saß neben Schmitz und hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt.
»Wie fühlst du
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