Tal ohne Sonne
»Auch du würdest dich wehren, wenn man dich angreift. Der Bibelspruch ›Liebet eure Feinde‹ ist absoluter Blödsinn! Wenn ich angegriffen werde, schlage ich zurück. Das ist überhaupt eine Sache, wo die Bibel sich widerspricht und unglaubwürdig wird. Einmal heißt es: ›Du sollst nicht töten‹ und: ›Liebet eure Feinde‹, woanders heißt es: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹.«
»Das mußt du Pater Lucius sagen, nicht uns!« sagte Schmitz.
»Mit einem Pfaffen zu diskutieren hat keinen Sinn. Er hat für alles eine Erklärung und für jeden Fall eine Hintertür.« Zynaker reckte sich und zog Leonora vom Sitz hoch. »Wir werden uns diesen ›Geist der donnernden Wolken‹ ansehen.«
»Wenn Lakta uns führt.« Schmitz machte ein bedenkliches Gesicht.
»Sie wird es, Pepau, sie liebt dich doch.«
»Wer hat dir diesen Unsinn denn eingeredet, Donald?«
»Meine Augen.« Zynaker lächelte breit. »Verliebte verraten sich durch Blicke und kleine Gesten. Bei euch ist es wie in einem Theaterstück, dem man zusehen kann.«
»Bin ich solch ein Trottel?«
»Du bist verliebt bis zur Aufgabe deines Verstandes.« Zynaker blickte zum Wald hinüber, der sich wie ein dicker grüner Pelz die Anhöhe hinaufzog. »Ziehen wir schon morgen früh los?«
»Ich muß Lakta fragen. Nur sie kennt den Weg.«
»Frage sie, wenn du sie im Arm hältst. Das ist eine Situation, in der keine Frau nein sagt.«
»Und wenn sie doch nein sagt?«
»Dann stoße sie von dir und schrei sie an: ›Deine Liebe ist nur eine Lüge!‹ Das wird sie umstimmen.«
»Ich will's versuchen.« Schmitz senkte den Kopf. »Versprechen kann ich nichts. Wir müßten dann den Weg zum ›Tal ohne Sonne‹ selbst suchen. Ein Nebental.«
»Und wo liegt es von hier? Im Süden oder Norden, im Westen oder Osten? Wir werden es nie finden! Wir sind schon wochenlang herumgezogen, völlig sinnlos. Aber jetzt haben wir eine neue Hoffnung, eine ganz kleine Hoffnung, wenn es wirklich diesen ›Geist der donnernden Wolken‹ gibt, einen Mann, der ein Gewehr besitzt. Wir müssen ihn finden.«
»Ich werde mit Lakta reden.« Schmitz hob resignierend die Schultern. »Mehr kann ich nicht tun. Macht euch keine großen Hoffnungen.«
Drei Tage dauerte es, bis Schmitz und Samuel nach langen Gesprächen Lakta umgestimmt hatten. Sie hatte geweint und saß zusammengekauert und verkrampft in der Hütte, sie gab sich Schmitz hin und schrie in der Umarmung: »Geh nicht hin! Geh nicht hm! Er tötet dich!«, und sie kniete am Rand des Baches, faltete die Hände und betete, wie sie es bei Pater Lucius gesehen hatte; sie lag in der Kirche lang hingestreckt vor dem Kruzifix auf dem Altar und stammelte: »Hilf mir! Hilf mir! Was soll ich tun?« Aber am dritten Tag sagte sie zu Pepau : »Ich führe euch hin. Dich, die Frau und ihren Mann. Nur sie, nicht die anderen.« Mit dem Mann meinte sie Zynaker; er grinste verlegen, als Schmitz ihm das mitteilte.
Reißner hatte in diesen Tagen eine andere Uma -Frau entdeckt, die seinem Ideal mehr entsprach. Eine noch junge Frau mit spitzen Brüsten und schmaler Taille, mit schlanken Beinen und gut geformten Oberschenkeln, eine der wenigen Schönheiten der Uma , die sich rätselhaft abhoben von den verkniffenen Gesichtern der meisten. Sie hieß – das hatte Reißner schnell erfahren – Nana und war die Frau des jungen Kriegers Simsa . Reißner fotografierte sie von allen Seiten, schenkte ihr drei Polaroidfotos von ihr und machte Bilder, als sie sich am Trog in aller Frühe wusch und in herrlicher Nacktheit herumsprang. Reißner hatte Mühe, seine Kamera ruhig zu halten, seine Hände zitterten.
»Nehmt auf jeden Fall meine MPi mit!« sagte er zu Zynaker und Schmitz. »Und die Pistolen auch. Wenn der Kerl auf jeden schießt, der ihm in die Quere kommt, müßt ihr zurückballern! Stellt euch bloß nicht als Zielscheibe hin! Wenn das stimmt, was man sich erzählt, war jeder Schuß ein Volltreffer.«
»Gibt es ihn überhaupt, wird er nicht auf uns schießen.«
»Bist du so sicher, Donald?«
Zynaker nickte. »Ja. Denn wir schießen zuerst – in die Luft. Dann weiß er, daß es keine Kopfjäger sind, sondern Weiße. Und das wird ihn aus seinem Versteck herauslocken. Auf diesen Augenblick wird er jahrelang gewartet haben.«
»Hoffen wir es. Himmel, gäbe das Fotos! Ich komme doch mit.«
»Dann zeigt uns Lakta nicht den Weg. Ohne sie sind wir hilflos.« Schmitz nagte an der Unterlippe, ein Zeichen seiner großen Nervosität. »Ich weiß noch nicht mal,
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