Tal ohne Sonne
Ich bin Schmerzen gewöhnt, auch das haben wir gelernt.«
Er erreichte das Flugzeugwrack und ließ sich von Reißner in die Trümmer ziehen. Kreijsman, Pater Lucius und Schmitz kletterten zwischen den Kisten, Säcken und Kartons herum, und der Pater fluchte mit Worten, die man einem Priester nie zugetraut hätte. Am meisten erregte ihn, daß seine Spezialkonstruktion – ein Klappaltar – zwei Beine verloren hatte.
»Ich mache mir Gedanken, Donald«, sagte Reißner zu Zynaker, »wie wir das alles an Land bringen sollen. Auf dem Buckel? Diese schweren Kisten? Durch die Strömung? Das kann Tage dauern.«
»Haben wir jetzt nicht genug Zeit, John Hannibal? Mehr Zeit, als uns lieb ist? Wir können die Kisten ja auspacken und aufteilen. Außerdem haben wir ein Schlauchboot an Bord und eine Anzahl Schwimmwesten. Die können wir als Träger benutzen und brauchen nur zu schieben.«
»Nur … Sie haben Humor, Donald! Ich habe schon überlegt, ob wir nicht aus unseren Nylonseilen eine Art Transportlift bauen. Was in den Alpen möglich ist, muß auch hier gehen. Werkzeug und Material haben wir genug. Aus der Verkleidung des Flugzeugs hämmern wir offene Gondeln zusammen und lassen sie hin- und herschweben. Die leichteren Teile nehmen wir auf den Buckel.«
»Wichtig sind zuerst die Zelte, der Propankocher, Töpfe, Geschirr, Bestecke und Verpflegung.«
»Und meine MPi.«
»Lecken Sie mich doch am Arsch mit Ihrer MPi!«
»Sie werden mir bald dankbar sein, daß ich sie besorgt habe. Der Mensch überlebt in dieser Hölle nicht mit Essen und Trinken allein.«
»Meine Zauberkiste ist unversehrt!« jubelte von hinten Pater Lucius. »Gott sei's gedankt! Unversehrt und trocken. Wenn man uns sucht, können wir wenigstens Raketen in den Himmel schießen und uns bemerkbar machen. Noch ist nicht alles verloren. Und die Fotoausrüstung hat auch überlebt, hören Sie, John Hannibal?«
Nach kurzer Beratung war man sich einig, auf den Bau eines Lifts zu verzichten und alles auf den Schultern oder mit dem Schlauchboot und den Schwimmwesten an Land zu bringen. Kreijsman und Schmitz begannen, mit einer Fußpumpe das Schlauchboot aufzublasen, Pater Lucius und Zynaker suchten die verpackten Zelte aus dem Gewühl des durcheinandergewirbelten Gepäcks. Reißner hatte seine Fotokiste ausgepackt und damit begonnen, die ersten Aufnahmen zu machen: das Flugzeugwrack, den Fluß, die Urwaldberge, die Bucht, die schwitzenden und schleppenden Kameraden, das Beladen des Schlauchbootes und den ersten Versuch von Kreijsman, Zynaker und Schmitz, das Boot gegen die Strömung an Land zu drücken. Das kostete Kraft und laugte die Körper aus. Als sie endlich die Bucht erreicht und das Boot ins seichte Wasser geschoben hatten, fielen sie auf den Kieselstrand, streckten alle viere von sich und lagen wie von einer Flut angespült da.
»Da ist jedes Foto tausend Dollar wert!« sagte Reißner und schoß eine ganze Serie Bilder. »Das sind Fotos, die einmal um die ganze Welt gehen werden.«
»Wenn wir hier rauskommen«, meinte Pater Lucius trocken. »Kann auch sein, daß spätere Generationen mal die Filme finden. Dann werden wir zu Helden gemacht. So dämlich wird die Nachwelt uns sehen.«
Der Pendelverkehr zwischen Flugzeugwrack und Strand dauerte bis zum Abend. Auf dem Propanherd kochte Leonora eine Suppe und wärmte vier Dosen Gulasch auf, aber die Männer waren zu erschöpft, um Hunger zu spüren. Um so mehr tranken sie kein Wasser, sondern Whisky und Gin, und Reißner rief, sich auf eine der Kisten setzend: »Leute, besauft euch! Dann sieht sogar dieses Mistland schön aus!«
Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie das Notwendigste an Land gebracht, vor allem die Zelte, die Verpflegung und die technischen Geräte – wie die Wasserfilter und die Motorsäge, auch die Apotheke. Dann lagen sie alle, am Ende ihrer Kräfte, auf der Erde. Allein Zynaker, durchtrainiert und anscheinend von nicht ermüdender Kraft, saß neben Leonora am Propankocher und aß aus einer Plastikschüssel die Suppe.
Am Waldrand, hinter den toten Baumstämmen, rührte sich nichts. Das machte Pater Lucius unruhig, er hob mehrmals den Kopf und starrte zu der hohen grünen Pflanzenwald hinüber.
»Sie sind da!« sagte er einmal. »Ich spüre es. Sie lauern in den Riesenfarnen und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Diese Stille ist zum Verrücktwerden.«
»Wir werden diese Nacht abwechselnd Wache halten müssen.« Zynaker stand auf und dehnte sich. Auch ihm lag die
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