Tal ohne Sonne
toten Baumstämmen war deutlich genug. Sie waren nicht allein, und das Gefühl, daß Hunderte von Augen sie jetzt beobachteten, war wie kleine Stiche in Rücken und Nacken.
Endlich erschien Zynaker an der Abbruchstelle, ließ sich ins Wasser gleiten und watete mit rudernden Armen, um das Gleichgewicht zu behalten, durch den gurgelnden Fluß und seine schäumende Strömung. Reißner rannte sofort ins Wasser und kam ihm hilfreich entgegen.
»Man kann über John Hannibal sagen und denken, was man will«, sagte Pater Lucius, als Reißner außer Hörweite war, »ein Kumpel ist er doch. Er packt an, ohne Rücksicht auf seine eigene Person. Seht euch das an! Er nimmt Zynaker fast auf den Rücken und bringt ihn durch die Stromschnelle.«
Etwas erschöpft, vor allem aber geschockt durch den Absturz, erreichte Zynaker den Strand der Bucht und stützte sich dabei auf Reißners Schulter. Ein paarmal holte er tief Atem und wischte sich dann über das nasse Gesicht. »Verzeihung«, sagte er. Es klang bitter und resignierend. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Plötzlich klemmte das Seitenruder, und dann ging alles sehr schnell. Ihr habt's ja gesehen.«
»Wir sollten sofort einen Funkspruch nach Kopago absetzen«, schlug Kreijsman vor.
»Das wollte ich.« Zynaker hob die Schultern. »Das Funkgerät tut's nicht mehr.«
»Wir haben doch den Handfunk im Gepäck.« Pater Lucius zog sein Hemd und die Stiefel aus. »Wir brauchen es nur zu holen.«
»Das war mein erster Gedanke. Darum bin ich sofort hinüber zur Ausrüstung.« Zynaker ließ Reißners Schulter los, die Schwäche war überwunden. »Nach dem ersten Überblick sind neun Kisten und drei Kartons zerplatzt, darunter auch unsere Funkausrüstung – ausgerechnet die!«
»Dann sind wir also jetzt von aller Welt abgeschnitten!« sagte Reißner laut. »Wir können hier verfaulen, und niemand erfährt es.«
»So ist es.« Pater Lucius sprach es fast feierlich aus. »Wenn man uns morgen sucht, weil Zynaker nicht zurückgekommen ist, haben wir nur die einzige Hoffnung, daß man die Flugzeugtrümmer im Fluß entdeckt. Wenn nicht, sind wir verschollen, und man macht einen Strich durch unsere Namen. ›Wir haben es ja gewußt‹, wird man draußen sagen. ›Das Land hat sie gefressen.‹«
»Das heißt im Klartext: Hier kommen wir nie wieder raus!« sagte Kreijsman. Seine Stimme zitterte dabei.
Pater Lucius nickte. »Wenn wir nicht unverschämtes Glück haben … Wir sind an der Endstation angelangt.«
»Und das sagen Sie so ruhig?« rief Reißner erregt. »Verdammt nochmal, ich habe noch viel vor mit meinem Leben.«
»Das können Sie haben. Hier wird noch allerhand passieren. Langeweile werden Sie bestimmt nicht haben. In den nächsten vierundzwanzig Stunden wird sich entscheiden, ob wir leben oder Schrumpfköpfe werden.«
»Damit rechnen Sie?«
»Ja. Ich wette, daß uns jetzt eine Menge Augen beobachten und man abwartet, was wir tun. Ob wir Menschen oder Götter sind, das wird sich in den kommenden Stunden entscheiden.«
»Und wie müssen wir uns benehmen, wenn wir Götter sein wollen?« fragte Schmitz.
»Unangreifbar.«
»Das machen Sie mal den Wilden klar«, sagte Kreijsman sarkastisch. »Wenn einen von uns der erste Pfeil trifft und er umkippt, ist's vorbei mit der unverletzbaren Gottheit.«
»Pater, Sie haben doch den Knaller in der Tasche.« Reißner wurde bei dem Gedanken an den Kanonenschlag sichtlich hoffnungsvoller. »Los, werfen Sie ihn zum Waldrand, und bumm-bumm – wir sind die unbesiegbaren Götter. Dagegen kommt sogar der geheimnisvolle Donnergeist mit den Blitzen aus seinen Fingern nicht an.«
»Warten wir ab, bis sie kommen«, sagte Pater Lucius.
»Wenn es vorher knallt, kommen sie erst gar nicht aus ihrer Deckung. Der Angriff ist immer besser als die Verteidigung. Der Angreifer diktiert das Geschehen. Das ist in tausend Jahren Krieg erprobt.«
»Wir wollen nicht abschrecken, sondern Vertrauen gewinnen. Wir sind ja hierher gekommen, um die unbekannten Menschen kennenzulernen, um mit ihnen zu sprechen, sie aus der Steinzeit herauszuführen, sie den wahren Gott zu lehren.«
»Es hat keinen Sinn, mit einem Priester zu diskutieren.« Reißner wandte sich resignierend ab. »Die singen noch ›Jesus, geh voran‹, wenn sie im Kochtopf schmoren. Ich schlage vor, wir reden nicht mehr viel, sondern holen die Ausrüstung an Land.«
»Das wollte auch ich gerade vorschlagen.« Leonora zog ihre Stiefel aus, ihnen folgte die Khakibluse. Es machte ihr
Weitere Kostenlose Bücher