Tal ohne Sonne
unregelmäßigen weißen Strichen bemalt. Beim Anblick der Weißen blieben sie wie erschrocken stehen und glotzten sie mißtrauisch an.
Dai Puino begann auf sie einzureden. Mit großen Gesten schien er zu erklären, was sie zu tun hatten, immer wieder unterbrochen von dem Schnattern der gelbbemalten Krieger, die erzählten, was sie bisher mit den fremden Göttern erlebt hatten. Nach einer halben Stunde Palaver wurden die neuen Träger auf die Kolonne verteilt, das Gepäck für jeden vermindert, nur der große Krieger, der den Flugzeugsessel getragen hatte, weigerte sich, ihn einem anderen zu übergeben. Er hatte sich in der Wartezeit gut erholt, schrie seinen ihn ablösenden Stammesgenossen an und bedrohte ihn mit einem Speer, den er dem Nebenmann entriß.
»Du liebe Güte«, sagte Reißner, als Zynaker zu ihm zurückkehrte. »Sehen Sie sich das an! Auch bei den Urvölkern gibt es Idioten. Statt daß er froh ist, den Sessel nicht mehr zu tragen, macht er ein wüstes Theater.«
»Das verstehen Sie nicht, John Hannibal. Er würde eher sterben als den Sessel hergeben.«
Nach der Umverteilung der Lasten zog die Kolonne weiter. Es war, als hätte jeder neue Kraft bekommen. Sie begannen sogar zu singen, in auf- und abschwellenden Tönen, ohne feste Melodie, in Lauten, die sich fast willkürlich aneinanderreihten ein Singsang, der in die Beine fuhr, der vorantrieb, der die Muskeln aktivierte und das Gepäck auf Rücken und Nacken leichter werden ließ.
Die ersten Anzeichen, daß sie in die Nähe des Dorfes kamen, nach fast drei Stunden Marsch, waren Hühner und zwei schwarze Schweine, die über den Weg liefen und Reißaus nahmen. Vögel, die die Weißen noch nie gesehen hatten und die Tauben ähnelten, aber ein buntes Federkleid trugen, flatterten zwischen den Bäumen, der Wald wurde lichter, die Baumriesen, die Farne, die Lianen machten Bananenstauden und Kokospalmen Platz, der Weg führte jetzt steil den Berghang hinauf, aus einem Wasserfall entstand ein Fluß, der im Urwald verschwand. Und dann sahen sie das Dorf, umgeben von Sagopalmen und hochragenden Eukalyptusbäumen, Kokospalmen, die mit breiten Fächerkronen die Hütten wie grüne Schirme schützten, und ein Bananenfeld, wie eine Grenze zum Urwald, der unmittelbar dahinter wieder begann.
In Form von vier großen Hufeisen lagen die Häusergruppen unter den Blätterdächern: die mächtigen, auf niedrigen Pfählen ruhenden, langgestreckten Männerhäuser, mehr als vierzig Meter lang, mit aus Palmblättern, Lianen und Holzstäben geflochtenen Wänden und einem riesigen Dach aus Matten und Blättern, und auf der anderen Seite die entweder auf dem Boden gebauten oder auf hohen Baumpfählen errichteten, nur über eine Leiter erreichbaren Frauenhäuser, viel kleiner als die Männerhäuser, innen durch Baumrindenwände abgeteilt, so daß jede Frau ihr eigenes Zimmerchen hatte, wo sie zusammen mit den Kindern wohnte. Von Haus zu Haus, in weiten Bögen, schwangen endlos lange Girlanden aus breiten bunten Vogelfedern in einem sanften Wind, der von den Hängen auf das Plateau hinunterwehte. Braune und schwarze, hellgrüne, weiße und knallrote Federn, aufgereiht auf dünne Palmfasern, ergaben ein prächtiges Farbenspiel gegen das dichte Grün des Waldes.
Auf dem großen Platz, der von den hufeisenförmigen Häusergruppen gebildet wurde, wartete eine dunkelbraune Menge. Frauen und Kinder, die meisten nackt oder weißrot bemalt, die Alten mit weißen Kraushaaren, die Jungen mit langen schwarzen, zotteligen Haaren, starrten unbeweglich auf die Kolonne der Krieger, die aus dem dichten Busch, aus der grünen Röhre, heraustraten in den Wald aus Sagopalmen und Bananenstauden. Dai Puino erhob seinen langen, federgeschmückten Kriegsspeer hoch in die Luft, stieß die Spitze mit den schrecklichen Widerhaken in den Himmel und stieß einen schrillen Schrei aus. Getrennt von dem Block der Frauen und Greise standen in einer Reihe nebeneinander die Krieger vor den großen Männerhäusern, auf Speere und Schilde gestützt, mit Federschmuck und gelb gestrichenen Köpfen. Ganz allein, unter einer nach allen Seiten offenen kleinen Hütte, die über und über mit Federn, Muscheln, Girlanden und Knochen behangen war, saß der Medizinmann Duka Hamana auf einer Matte aus Palmstroh. Trotz der vielen Menschen lag große Stille über dem Dorf.
Pater Lucius war stehengeblieben und legte die Hand auf Leonoras Schulter. »So stellt man sich das Paradies vor«, sagte er schwer atmend, »wenn man
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