Tal ohne Sonne
nicht wüßte, daß sie Köpfe jagen und das Herz, die Leber und den Penis ihrer getöteten Feinde essen.«
Reißner kam von hinten, die Kamera schußbereit in den Händen. »Welch ein tolles Foto!« rief er. »Pater, haben Sie so etwas mitten im Unbekannten erwartet?«
»Nein. Das ist unglaublich. Und wir sehen es als erste, und vielleicht auch als einzige.«
»Ich denke, Sie wollen hier eine Kirche bauen? Eine Krankenstation, eine Schule?«
»So Gott will …«
Das Erscheinen von Reißner schien ein Signal zu sein. Plötzlich löste sich die braune Masse auf der Platzmitte auf. Frauen und Kinder stoben kreischend auseinander, die Greise wackelten in den Schutz der Hütten, Hunde ergriffen jaulend die Flucht. Ein dröhnendes Getrappel wie das einer Herde wilder Pferde stieg in die feuchtheiße Luft, der Boden schien zu vibrieren, das Geschrei der Kinder klang, als häute man sie bei lebendigem Leibe, nur die Reihe der Krieger vor den Männerhäusern blieb regungslos stehen, eine Mauer aus bemalten Schilden und Speeren.
Dai Puino machte das Zeichen zum Weitermarsch. Die Trägerkolonne lachte laut und rief zu den Flüchtenden hinüber, Hühner flatterten zwischen den Sagopalmen auf, aus einem Bananenwald preschte eine kleine Herde Schweine und versteckte sich hinter dem zweiten Männerhaus.
Auf dem großen leeren Dorfplatz legten die Träger ihre Lasten nieder und bildeten einen weiten Kreis darum. Die Krieger vor den Männerhäusern rührten sich noch immer nicht. Es waren offensichtlich die Männer, die zu Hano Sepikula hielten, dem feindlichen Bruder des Häuptlings.
»Wir scheinen nicht allen willkommen zu sein«, sagte Kreijsman. »Hat man uns nicht einen triumphalen Empfang versprochen? Das sieht eher nach Feindschaft aus.«
Samuel, der mit Dai Puino gesprochen hatte, kam zu Leonora. Sein Gesicht glänzte wieder, ein Beweis, daß er gute Nachrichten mitbrachte. »Er sagt«, berichtete er von Dai Puino, »daß ihr alle im Männerhaus zwei wohnen werdet und daß es morgen ein Fest gibt. Alle freuen sich, daß ihr bei ihnen seid.«
»Das sieht mir aber nicht so aus.« Reißner blickte kritisch zu den Männerhäusern hinüber. »Ins Männerhaus zwei – da müssen wir erst mal hinkommen. Solange die finsteren Knaben dort stehen, setze ich mich lieber auf eine Kiste. Pater?«
»Ja?« Pater Lucius drehte sich zu Reißner um. »Haben Sie eine Idee?«
»Ja. Noch mal einen Knaller loslassen.«
»Nein. Das bringt uns gar nichts. Dai Puino wird schon einen Weg finden.«
Und so war es. Ein Teil der Träger war im Männerhaus eins und drei verschwunden und kam nun mit Trommeln aus ausgehöhlten Baumstämmen und Schweinehaut zurück. Auch Klanghölzer, Stäbe, die man gegen einen dicken Baumast schlug und die verschiedene dumpfe Töne von sich gaben, hatten sie in den Händen, hockten sich vor den Hütten nieder und begannen ein Furioso von Getrommel und rhythmischem Lärm. Wie eine Glocke lag das Trommeln über dem Dorf, wie eine tönende Haube, die es gegen den Himmel abschloß.
Langsam, vorsichtig, wie sichernde Tiere, kamen aus den Hütten die Frauen und Kinder auf den Platz, kletterten an den Leitern der auf hohen Stelzen gebauten Frauenhäuser herab, schlurften die Alten herbei und schlichen sich die Hunde näher. Hellbraune, fast gelbe Hunde mit einem kurzhaarigen Fell, Peitschenschwänzen und Hängeohren. Auch in die stumme Kette der Krieger vor den Männerhäusern kam Bewegung. Die Mauer aus Schilden und Speeren löste sich auf und verschwand in den Eingängen der langen, mit einem buckligen Dach behelmten Häuser, die aussahen, als seien sie Riesentiere mit hohem Rücken, Kopf und Schwanz, die sich zwischen die Kokospalmen kauerten.
Plötzlich war die Scheu vor den fremden weißen Gestalten wie weggeblasen.
Die Kinder waren die ersten, die schreiend und lachend Leonora und die anderen umringten; sie betasteten die noch nie Gesehenen, strichen vertrauensvoll mit den Händen über den Stoff der Kleidung, umkreisten immer wieder die Fremden und redeten auf sie ein, tanzten um sie herum, zeigten auf sich und riefen anscheinend ihre Namen. Ein Junge mit laufender Rotznase baute sich vor Reißners Kamera auf, ohne zu wissen, was das war, und hob seinen gut entwickelten Penis mit beiden Händen hoch, so stolz, bald ein richtiger Mann zu sein, daß Reißner knurrte: »Für das Foto verlange ich einen Sonderpreis!«
Auch die Frauen kamen nun heran und brachten Eier mit, Bananenbüschel, Kokosmilch in
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