Tal ohne Sonne
Außer den Strohmatten und ein paar ausgehöhlten Kürbissen, die als Wasserbehälter dienten, einer Reihe von Bambusbechern und – als Schmuck – einer Girlande aus Schweineknochen war das Zimmer, in das man sie führte, leer. Vier Frauen, die sie begleitet hatten, gackerten um sie herum, eine von ihnen holte aus dem Nebenzimmer einen Säugling und hielt ihn ihr hin. Sie nahm ihn in die Arme, schaukelte ihn und gab ihn dann der stolzen Mutter zurück. Ein weißhäutiges Wesen, vom Himmel gefallen, hatte ihr Kind in den Arm genommen, das war eine Auszeichnung, durch die sie plötzlich über allen anderen Frauen stand.
Im Männerhaus erwarteten einige Überraschungen die durch das Türloch geduckt eintretenden Männer. Begonnen hatte es schon, als sie das langgestreckte Haus erreicht hatten und vor dem mit Schnitzereien verzierten Eingang standen. Über der Tür hing, an einer langen Lianenschnur aufgezogen, eine Kette aus gebleichten Knochen. Schmitz, der Medizinstudent, blieb ruckartig stehen. Der hinter ihm gehende Kreijsman prallte auf ihn auf. Auch die anderen blieben stehen.
»Das sind Menschenknochen«, sagte Schmitz dumpf. »Da, ein Unterschenkelknochen, daneben ein Unterarm, Elle und Speiche, der Teil eines Beckens, ein halbes Schulterblatt, ein Hüftknochen, die Knöchelchen von mehreren Fingern, vier Rückenwirbel –«
»Hören Sie auf, mein Gott, hören Sie doch auf!« stöhnte Kreijsman. »Wollen Sie, daß ich kotze?«
»Und dort«, Pater Lucius zeigte auf ein Gestell aus Bambus, das an einem Eckpfosten stand, »neun Schrumpfköpfe.«
»Noch frisch«, sagte Reißner heiser. »Die haben vor einer Woche noch gelacht und gesungen.«
»Sind Köpfe von Pogwa-Männern«, erklärte Samuel, als habe er mitgeholfen, sie abzuschlagen. »Masta, das war die erste Rache für den Überfall. Die zweite, große Rache kommt noch.«
»Nein!« sagte Pater Lucius fest. »Jetzt ist Christus da.«
»In Ewigkeit. Amen.« Samuel bekreuzigte sich, wie er es auf der Missionsstation und als Meßdiener gelernt hatte. »Aber die Uma glauben nicht an Jesus.«
»Sie werden den wahren Gott bald erkennen.«
»Darauf bin ich gespannt.« Reißner riß sich von dem schrecklichen Anblick der Schrumpfköpfe und der Knochengirlande los. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie es anfangen, diese Wilden umzudrehen. Dazu noch mit Samuel als Sprachrohr.«
»Ich werde die Sprache der Uma lernen, und während ich lerne, führe ich ihnen Gott vor. So lernen wir voneinander.«
»Sie vergessen Ihren ärgsten Feind, den Medizinmann.«
»Er wird bald von seinem Stamm isoliert sein.«
»Er wird Sie töten.«
»Nein. Er weiß ja noch nicht, daß ich auch sterblich bin. Wenn er das begriffen hat, ist es für ihn zu spät.« Pater Lucius zog Samuel am Arm zu sich heran. »Weißt du, wann die Uma gegen die Pogwa in den Krieg ziehen?«
»Nein, Pater.«
»Dann hör dich um.«
»Erst muß klar sein, wer stärker ist, Dai Puino oder sein Bruder Hano Sepikula. Erst dann gehorchen alle Krieger.«
»Und wir sollten Dai Puino zum Sieg verhelfen.« Zynaker blickte zu den beiden anderen Männerhäusern hinüber. Ein paar der bemalten Krieger standen herum, aber die Mehrzahl war im Inneren der Häuser. Durch die beiden Türlöcher und durch die Ritzen im Dach quoll grauer Rauch. »Ich möchte diesen Hano Sepikula gerne mal kennenlernen.«
»Da werden wir nicht lange zu warten brauchen. Morgen früh wird der Bruderkampf beginnen. Wetten?« Reißner setzte sich wieder in Bewegung, warf noch einen Blick auf die bleiche Knochengirlande, bückte sich und betrat das Männerhaus.
Vor ihm lag ein einziger, vierzig Meter langer, ungeteilter Raum mit hohen Wänden, weil das Dach gleichzeitig die Decke war. Ein Saal der Krieger mit sieben auf Steinen errichteten Feuerstellen, ein glatter Boden, mit bemalten Matten belegt, an den hölzernen oder geflochtenen Wänden, auf quer gelegten Baumstämmen, die wie ein Wandbord aussahen, eine lange Reihe von Totenschädeln, darüber wieder Girlanden aus weißgebleichten Schweinskinnbacken, eine Gedenkstätte der Ahnen, zwischen denen nur die Männer leben durften. Die Seelen der Vorfahren waren immer um sie, gaben ihnen Kraft und Mut. Wer unter dem Schädel seines Vaters schlief, war ein großer Krieger, denn der Vater hatte seinen Kopf bis zum Tode behalten. Seine Kraft ging in seinen Sohn über.
»Nun sag einer noch, das sei hier nicht gemütlich!« rief Reißner ironisch, als alle in dem Haus waren und sich
Weitere Kostenlose Bücher