Tal ohne Sonne
Bambusbechern, Brocken von faulig riechendem Schweinefleisch, grüne Tabaksblätter, frisch gepflückt vom Strauch, und hellbraun gebackene Sagokuchen, noch warm und duftend.
Aus dem Männerhaus zwei wurden mit lautem Geschrei Kinder, Küken, Ferkel und Hunde herausgetrieben, Unrat, Küchenreste und zerfetzte Matten wurden ins Freie geworfen, ein großes Reinemachen schien begonnen zu haben. Samuel, der wie ein Wiesel hin und her lief, kam mit der Meldung zurück, die hohen Gäste könnten jetzt das Haus beziehen. Es gehöre ihnen.
»Das ganze lange Haus?« fragte Leonora zweifelnd.
»Ja. Das Gepäck muß ja auch Platz finden.«
»Und die Männer, die bisher in dem Haus wohnten?«
»Sie werden ein neues Haus für sich bauen. Sieh hin, Massa. Siehst du die schwarzen Pfähle und Wände? Sie wollten es abbrennen, die Pogwa, vor zwei Wochen, sie haben neun Mann getötet und dazu sieben Frauen geraubt. Pogwa, das ist der Stamm hinter der Bergkuppe. Aber sie haben sich gewehrt, die Alten und die Jünglinge. Die Uma sind tapfere Menschen. Uma, so heißt der Stamm, bei dem wir sind. Sie haben die Feuer gelöscht und die Pogwa vertrieben, viele sind verwundet worden von den Uma und werden vielleicht sterben. Die Pogwa sind gekommen, als fast alle Uma auf der Jagd waren und am Fluß, um zu fischen.« Samuel reckte sich, als sei auch er ein Uma. »Aber sie werden Rache nehmen. Sie werden die Pogwa auch überfallen und viele Köpfe erbeuten. Es ist jetzt die Zeit der Kopfjäger. Die Trockenzeit beginnt.«
»Na prost!« Reißner sah zu dem langen Männerhaus hinüber, das die Uma für sie geräumt hatten. »Da sind wir ja mittendrin. Köpfchen da, Köpfchen dort … Die Kopfjäger-Saison. So wie bei uns die Jagd auf Hasen, Rehe und Rebhühner freigegeben wird, so heißt es hier: Jagd frei auf die Menschen. Halali! Pater, nun machen Sie denen mal klar: Du sollst nicht töten. Liebet eure Feinde.«
»Sie werden es begreifen«, sagte Pater Lucius schlicht. »Gottes Wort hat noch jeder Mensch verstanden.«
»Gehen wir«, sagte Zynaker. »Ich bin neugierig, wie unser neues Zuhause innen aussieht.«
Sie gingen zu dem Männerhaus hinüber, an dessen schmalem Eingang, so breit und hoch, daß gerade ein Mensch durchschlüpfen konnte, die einzige Öffnung, die Licht und Luft hineinließ, einige Papuas warteten. Als auch Leonora sich in Bewegung setzte, wurde sie von einigen Frauen festgehalten. Schnatternd redeten sie auf sie ein, zogen an ihrer Khakijacke und zeigten immer wieder zu einem kleinen Haus hinüber, das auf einer hölzernen Plattform gebaut war, eines der Frauenhäuser, nur mit einer Leiter zu erreichen.
Leonora begriff sofort, was man von ihr wollte. »Donald!« rief sie Zynaker nach, der als erster dem Männerhaus zustrebte. »Donald, sie lassen mich nicht gehen! Ich soll in ein Frauenhaus.«
Zynaker kehrte um, während die anderen stehenblieben. »Natürlich betreten wir nicht unser Haus, wenn Leonora nicht mitkommt!« sagte Reißner laut. »Pater, Sie müssen doch noch einen Knaller werfen, um Respekt in die Bande zu donnern.«
Zynaker drängte sich durch das Gewühl der Weiber, schob sie mit den Händen weg und zog Leonora an den Schultern zu sich heran. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Dort oben in dem Haus bist du sicherer als wir.«
»Das ist es nicht. Ich habe keine Angst, aber ich will bei euch sein.«
»Es ist unmöglich, daß eine Frau im Männerhaus schläft. Wir können einen jahrhundertealten Brauch nicht mißachten. Es ist ja auch nur für eine Nacht.«
»Ich … ich möchte bei dir sein«, sagte sie leise. »Ich will in deinen Armen einschlafen. Ich liebe dich …«
»Liebling, im Männerhaus geht es doch auch nicht.«
»Aber du bist in meiner Nähe. Ich sehe dich, ich höre dich, ich kann dich anfassen …«
»Wenn wir hier bei den Uma bleiben, als Basislager gewissermaßen, können wir vielleicht etwas ändern. Für jeden von uns eine eigene Hütte, das werden wir Dai Puino vorschlagen.«
Sie nickte, zwang sich, ihm keinen Kuß zu geben, und ließ sich von den lachenden Frauen zu dem Frauenhaus auf Stelzen führen. Mißtrauisch betrachtete sie die Leiter, deren Sprossen mit Lianen an zwei Stangen festgebunden waren, aber als zwei der Frauen ihr vorauskletterten und die Leiter nicht zusammenbrach, stieg auch sie vorsichtig zu der Plattform hinauf.
Das Haus war sauber, luftig, mit einem glatten Boden aus Palmstrohmatten und durch Flechtwände in vier Zimmer eingeteilt.
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